Netzwerk Recherche: Digitalisierung der Favelas

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Bei der Netzwerk Recherche-Konferenz haben wir von Alltag und Arbeit in den Favelas von Rio, der militärischen Besetzung und Befriedungsstrategie vor der WM und der Digitalisierung der Favelas berichtet.

Quentin Lichtblau und Theresa Möbus haben die Veranstaltung in dem Text “”Die “Stadt in der Stadt” geht online” dokumentiert. Und Ofelia Harms Arruti hat uns interviewt und für die Deutsche Welle darüber geschrieben, wie Favelas ins Internet kommen (“Wie kommt der Slum ins Internet?”).

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Zitterpartie zum Achtelfinale

 

Beten, Zittern, T-Shirt über den Kopf: Viele Favelabewohner wollten heute gar nicht hinsehen – so sehr bangten sie um den knappen Sieg. Dann die Erlösung – und die Favela rastete aus, als Brasilien im Achtelfinale gegen Chile siegte.

“Das Filter”-Interview: „Politik, Polizei und Drogengangs sind miteinander verflochten“

Das Kulturmagazin “Das Filter” hat uns interviewt, über die Favelas, die Besetzung, und popkulturelle Trends, die aus der Favela kommen:

“Die WM in Brasilien ist im vollen Gange. Frenetische Fans und beste Samba-Laune markieren die hiesige Berichterstattung. Zwar wird ab und dann oberflächlich über Proteste abseits der Großveranstaltung berichtet, aber was passiert genau in den Favelas? Die Journalistinnen Julia Jaroschewski und Sonja Peteranderl berichten live aus den noch immer von Drogengangs beherrschten Gebieten Brasiliens. Sie zeigen, dass Gewalt auch während des Turniers ein alltägliches Thema ist. Erst gestern starben bei blutigen Schießereien im Complexo do Alemão zwei Teenager und ein Polizist. Die großen Medien berichteten bisher nichts vom Tod der beiden Jungen. Wie die Stimmung in Brasilien wirklich ist und ob die Favelas durch mehr Polizeipräsenz wirklich sicherer geworden sind, erklären sie uns in diesem ausführlichen Interview. Sie zeigen aber auch, dass Favelas mehr sind als Drogen, Kampf und Gewalt. Denn, und das wissen nur wenige: Hier entstehen auch die wahren Trends der brasilianischen Popkultur.”

Das Filter

Die Ghana-Lobby

9:2, eindeutig. In der Favela-Bar, in der wir uns heute das Spiel angesehen haben, standen alle Gäste auf Ghanas Seite. Das ist gut so – aber überraschend. Ein Bekannter hatte sich beim Public-Viewing an der Copacabana vor kurzem gewundert, warum die Brasilianer kaum für afrikanische Mannschaften klatschen – obwohl Brasilien ein Land mit einem hohen Anteil schwarzer Bevölkerung und afro-brasilianischer Kultur ist.

Deutschland gegen Ghana: die Rocinha auf der Seite der afrikanischen Mannschaft

Deutschland gegen Ghana: die Rocinha auf der Seite der afrikanischen Mannschaft

Brasilien ist entgegen den Klischees von der harmonischen Mischung der Farben ein ziemlich rassistisches Land. Rassismus existiert auch in den Favelas – innerhalb der Rocinha sehen die (weißen) Einwanderer aus dem Nordosten Brasiliens oft auf die schwarzen Favelabewohner herab.

Afros werden geglättet, Beinhäarchen blondiert, Schönheitsidole sind die blonden Frauen aus der Vorabendserie, die nur ein Ausschnitt Brasiliens sind. Mit der jungen Favelageneration ändert sich das langsam – in manchen Favelas sind Afro-Frisuren der neue Trend, die Jugendlichen entdecken und interpretieren ihre Wurzeln neu.

Da Ghana ein schnelles und gutes Spiel abgeliefert hat: viel Jubel in der Bar. Als Jogi die alte Wunderwaffe Schweinsteiger (Kommentator: “Schweinsteiger sabe tudo”, “Schweinsteiger weiß alles/hat es drauf”) dann einwechselte: betrübte Mienen.

Am Ende hatte dann doch noch einer der Zuschauer Mitleid mit uns, wechselte die Seite und feuerte plötzlich Deutschland laut an. “Unglücklicherweise hat Deutschland nicht gewonnen”, bedauerte er nach Spielende. “Für Euch hätte ich mir gewünscht, dass Deutschland gewinnt.” Wir finden, dass heute alle gewonnen haben.

Jogi in der Favela

Deutschland gewinnt 4:0 – und kaum jemand sieht zu. Zumindest in der Favela Rocinha. Ein Streifzug durch die größte Favela von Rio am Tag des WM-Deutschlandspiels.

Vielleicht lag es auch an der ungünstigen Zeit, aber das Spiel Deutschland gegen Portugal hat in der Favela fast heute niemand interessiert – außer uns. Im Favela-Restaurant lief das Spiel als Hintergrundgeräusch beim Essen, und sogar in der Rua Um, einer kleinen, lebendigen Gasse, in denen die meisten Bars normalerweise schon ab mittags brummen, war alles ruhig.
Während auf dem Bildschirm das ganz große WM-Drama ablief – verletzte Spieler, Fouls, Tore, Elfmeter, selbst Wunderwaffe Cristiano Ronaldo versagte in Serie, eindeutiger Sieg für Deutschland – putzten die Besitzer der Bar, in der wir die einzigen Gäste waren, erstmal durch.

Die beiden haben das Spiel dann eher mit uns angesehen, als umgekehrt – weil sie es spannend fanden, dass zwei Deutsche hier in ihrer Bar sitzen, die auch noch in der Favela wohnen. Morgen, beim Spiel Brasilien gegen Mexiko werde es voller sein, versicherten sie. Wir sollten doch vorbeikommen.

Danach: Polit-Debatte an der Bar – und auch die Barfrau kennt die innere Zerrissenheit, der wir hier immer wieder begegnen. Einerseits: Die WM schafft neue Probleme und kostet zuviel Geld, das etwa in der Rocinha besser investiert wäre. Andererseits: Fußball eben. Natürlich feuert sie die brasilianische Mannschaft an – sie sei ja Brasilianerin.

Schüsse zur WM

Heute hat der Tag in der Favela wieder mit Schießereien begonnen. Gegen acht Uhr morgens haben sich Polizei und Drogengang in der Cachopa beschossen, später auch in anderen Gebieten der Favela. Eine Person wurde Berichten zufolge verletzt.

 

 

WM-Auftakt: Friedliche Favela, Stress auf den Straßen

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Die WM in Brasilien startete mit einem Eigentor – und liefert den Chronisten der WM, die über Milliardenausgaben, Proteste und das die brasilianische WM begleitende Chaos schreiben, damit eine Metapher, die sich treffender nicht erfinden ließe. In der Favela Rocinha begann die WM trotzdem mit allem, was ein schönes Fußballfest haben muss: gute Stimmung, treue Fans, die ihre Seleção anfeuern, Tröten, viel Bier, Churrasco am Straßenrand, und – very Favelalike – Feuerwerke.

Keine Fanmeile, stattdessen Hunderte von Mini-Partys in der Favela

Die meisten kleineren Läden blieben am ersten Tag der WM geschlossen, einige Fans hatten sich entschieden, das Spiel beim Public-Viewing an der Copacabana anzusehen, viele Favelabewohner hatten es sich mit Familie und Freunden im Wohnzimmer vor dem Fernseher oder auf den Hausdächern gemütlich gemacht, so dass die Rocinha in manchen Gebieten ungewohnt verwaist aussah.

In der Rocinha verteilten sich die öffentlichen WM-Partys auf die kleinen Bars an der Hauptstraße und in den Gassen zwischen den Ziegelhäusern. Viele bauten einfach ein paar Plastiktische an, oder stellten Stühle mitten auf die Straße. Wir sind während des Spiels von ganz oben am Berg bis an den Fuß der Favela getourt, und haben uns die Stimmung in mehreren Bars angesehen.

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Kein Herumgegröle, stattdessen nette, kleine Runden, mit denen das WM-Gucken Spaß gemacht hat. Nur ein Böller hat uns während eines Interviews fast einen Hörsturz beschert. Julia war mit dem kanariengelben Neymar-Trikot im Favela-Look – viele trugen Fußball-T-Shirts, inklusive zahlreicher Mini-Neymars.
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Tränengas zum WM-Auftakt

Während das erste WM-Spiel innerhalb der Favela und auch in der Fanfest-Arena eine friedliche Feier war, kam es bei den Anti-WM-Protesten an der Copacabana und in der Lapa wieder zu Zusammenstößen zwischen Polizei und Demonstrierenden.

Mindestens elf Personen wurden festgenommen, der Polizei zufolge mindestens fünf verletzt, davon vier Polizisten. Soziale Netzwerke berichten von mehreren verletzten Demonstrierenden, von denen einer ins Krankenhaus transportiert werden musste. Die Polizei hat wieder Tränengas und Gummigeschosse gegen die Demonstrierenden eingesetzt. Auch der Favelareporter Betinhoo Casas Novas, der die Proteste fotografiert hat, wurde im Getümmel verletzt, konnte aber danach weiterfotografieren.

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