Willkommen im Zoo

Aufeinandergestapelte Ziegelhäuschen, enge, dunkle Gassen, Menschenmassen auf engstem Raum – klar, Favela. Grünzeug, Natur, Wald assoziieren dagegen die wenigsten mit Favelas. Wir leben inzwischen ganz oben in der Rocinha, dort, wo die Siedlung in den Regenwald hineinwächst. Wenn es richtig stürmt, befürchten wir manchmal, dass uns ein Baum ins Fenster fällt.

Das Zusammenleben mit der Natur verwandelt die Favela in kleine Zoos – in Favelas wie der Santa Marta im Stadtteil Botafogo mitten in der Stadt hüpfen Äffchen herum. Anfang des Jahres hat einer der Affen einen Strommast mit einem Kletterbaum verwechselt und einen Stromschlag erlitten, zumindest aber übel zugerichtet überlebt.

Bei uns war es gestern unsere Mitbewohnerin, die fast einen Herzinfarkt erlitten hat – als mitten in der Nacht ein Kopf vor unserem Küchenfenster auftauchte, und sie anstarrte. Ein Opossum wollte es sich während des Gewitters wohl in der Nische vor unserem Küchenfenster gemütlich machen. Ein paar Favelabewohner sind in der Vergangenheit schon von bissigen Opossums angefallen worden, meistens verläuft das Zusammenleben von Menschen und Tieren in der Rocinha aber entspannt.

Possi

Das Huhn durfte nach der nächtlichen Opossum-Erscheinung ausnahmsweise drinnen schlafen.

Die WG-Erweiterung: Eine Wachtel namens “Leopoldina”

Abends klopft es an der Tür und der Ex-Freund unserer Mitbewohnerin liefert einen Sack voller Sachen und ein rechteckiges Ungetüm ab, das sich als Käfig entpuppt. Und jetzt haben wir noch eine Mitbewohnerin. Die ist lange wach und piept, sobald man sich ihr nähert und hat schnell angefangen, einen strengen Geruch zu verbreiten, sobald sie einige Zeit im Wohnzimmer lebte (und musste deswegen inzwischen auf den Balkon umziehen, wo nun die Fliegenpopulation rasant wächst).

Eine Wachtel als Haustier also. Da hält man Wachteln und Wachteleier für eine relativ teure Delikatesse und lernt die erste lebendige Wachtel ausgerechnet in einer Favela kennen. Und hier sind Wachteln tatsächlich keine Seltenheit. Gleich nach Katzen, die hier Mauervorsprünge, Balkone und Treppen (auch mit ihren Hinterlassenschaften) besetzen, liegen Vögel, Hühner und Wachteln auf der Hitliste der häufigsten Favela-Tiere ganz weit vorne.

Wohl auch, weil sie platzsparend unterzubringen, genügsam und teilweise auch noch weiterverwertbar sind. Auf der Müllkippe unterhalb von unserem Haus, die eigentlich eine Wiese darstellen soll, begegnen wir jeden Tag einer Hühnerherde, die sicher irgendwann zu einem Abendessen verarbeitet werden.

Ein Käfig passt noch in das allerkleinste Favelahaus hinein, oder baumelt vor dem Fenster herum – manche Favelabewohner hängen ihre Vogelkäfige tagsüber auch an einem Laternenpfahl an der Straße auf. Vielleicht um den Vogel mal durchzulüften?

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