Selbstversuch: Das missglückte Haar-Tattoo

Haar-Tattoos liegen bei den Jungmännern der Favelas im Trend. Im Rahmen unserer Selbstversuch-Reihe wollte auch ich die Begegnung mit der Rasierklinge wagen. Doch das lief schief.

Schnipp, Schnapp: In der Rocinha gibt es Dutzende Mini-Friseursalons (Foto: BuzzingCities)

Schnipp, Schnapp: In der Rocinha gibt es Dutzende Mini-Friseursalons (Foto: BuzzingCities)

Einrasierte Tribals, Diamanten, Leopardenmuster: Wenn die Favela-Friseure die Rasierklinge ansetzen, verwandeln sich Köpfe in Kunst. Die sogenannten “Haar-Tattoos”, die in anderen lateinamerikanischen Ländern teils fest in der Gangkultur verwurzelt sind, liegen auch in Rios Favelas bei vielen Jungmännern im Trend.

Ein Besuch in einem der Friseursalons der Rocinha steht schon seit längerem auf unserer Liste der Favela-Selbstversuche – warum also nicht gleich ein Haar-Tattoo wagen? Als ich mir dann in einem Youtube-Video angesehen habe, wie die Muster mit einer Rasierklinge in die Kopfhaut geschnitten werden, hätte ich es mir allerdings fast anders überlegt. Es sah ziemlich schmerzhaft aus, eher nach Skalpierung als nach Friseurbesuch.

Kunst auf dem Kopf: So sehen Haartattoos eigentlich aus (Foto: BuzzingCities)

Kunst auf dem Kopf: So sollten Haartattoos aussehen (Foto: BuzzingCities)

Gestern ergab sich auf einer Veranstaltung spontan die Gelegenheit, sich ein kostenloses Haar-Tattoo von Haar-Tattoo-Künstlern rasieren zu lassen, die auch auf Wettbewerben gegeneinander antreten. In der Schlange davor standen Dutzende an – nur Männer.

“Schneidet ihr hier auch Frauen die Haare?”

“Du meinst, so normal schneiden?”

“Nein, rasieren und dann etwas auf den Kopf ritzen.”

“Ja, klar.”

Eine Frau reicht uns ein Blatt mit Fotos, zur Anregung. Lauter Köpfe, darauf die Comic-Figur Betty Boop oder eine gesamte Skyline Rios, über der der Christus thront.

“Wir wissen schon, was wir wollen.”

“Was denn?”

“Der Hinterkopf soll abrasiert werden und dann soll das Wort Rocinha hineingeschrieben werden.”

“Rocinha???!”

“Ja, Favela Rocinha, da wohnen wir.”

“Aha, cool. Ja, das geht.”

Anstehen in der Männerhorde, vorne ritzen die Friseure mit Geduld und Hingabe an den Köpfen herum. Ein paar Leute machen Fotos, weil wir die einzigen Frauen in der Reihe sind. Und gerade als ich aus der Schlange treten will, um es mir doch nochmal zu überlegen, winkt mich einer der Friseure zu sich. Keine Chance, zu entkommen.

“Soll ich dir die Haare schneiden?”

“Nein, kannst du mir den Hinterkopf rasieren und ein Wort hineinschneiden: Rocinha?”

“Aber das ist ein ziemlich langes Wort, soviel Platz hast du nicht auf dem Kopf.”

“Dann musst du das Wort eben ganz klein schreiben – oder mehr abrasieren.”

“Ich schau mal.”

Vor ein paar Minuten hat der Künstler mit der Klinge noch einem jungen Mann einen Diamanten, auf den Hinterkopf geritzt, ihm Strahlen, die am Nacken enden, hineingeschnitten, dann den Diamanten mit Haarfarbe blau und rot ausgemalt. Jetzt soll er einer Frau eine Favela auf den Kopf ritzen. Frauen lassen sich hier normalerweise nicht einmal die Haare rasieren.

Er hängt mir erstmal den schwarzen Friseurumhang über, unter dem ich in den kommenden 30 Minuten schwitzen werde. Dann muss ich den Kopf nach vorne beugen, er setzt den Rasierer hinten an. Alle in der Reihe sehen zu. Rechts und links fallen die Haare herunter, er fitzelt minutenlang mit der Klinge hinter meinen Ohren herum. Mein Nacken schmerzt. Er setzt die Klinge an, tut gar nicht weh, er scheint auch übervorsichtig zu sein.

“Da hinten ist ganz schön wenig Platz”, sagt er. “Und du hast ziemlich dünne Haare.”

Normalerweise schneidet er Jungmännern mit Afros, krausen Haaren, dichten Locken den Kopf.

Ich sehe nicht, was er macht, sehe nur, wie Haare nach vorne fallen. Ich habe das Gefühl, dass er minutenlang an einer Stelle herumschneidet, frage mich, was so lange dauert.

“Er versucht es zu retten”, sagt Julia. “Er weiß nicht so recht, was er machen soll.”

Na wunderbar.

Dann malt er mit einem Haarfarbe-Stift auf meinen Hinterkopf. Ein paar Minuten später darf ich wieder aufstehen.

Als ich mich zur Seite drehe, ein entsetzter Blick von zwei Mädchen.

Leute kichern, als ich durch die Straßen laufe.

Ein Bekannter fragt: “Wo hast du dich denn anmalen lassen?”

Ich sehe es erst, als ich zuhause ankomme. Die Haare sind nur drei Zentimeter abrasiert unten, der Friseur hat sich wohl nicht getraut, noch mehr zu entfernen. Natürlich ist es unmöglich, in diesen Mini-Abschnitt sieben Buchstaben – “Rocinha” – mit einer Klinge hineinzuritzen.

“Rocinha” hat er mir dafür mit dem Filzer eher auf den Hals gemalt – es sieht aus wie die ersten Pseudo-Spray-Versuche von meinem damals 12-jährigen Bruder. Dafür hat er über den Buchstaben die Haare im Zick-Zack abrasiert.

Die Farbe hat sich zum Glück heute Morgen in der Dusche gleich abgewaschen. Zurück bleiben drei abrasierte Zentimeter, die in einer ziemlich hässlichen Zick-Zack-Linie enden.

Haar-Tattoo: Dieser Selbstversuch ist leider schief gelaufen (Foto: BuzzingCities)

Haar-Tattoo: Dieser Selbstversuch ist leider schief gelaufen (Foto: BuzzingCities)