House of Cards: Brasiliens Skandalpolitik

Lula umringt von Anhängern (Foto: Jaroschewski)

Umstrittener Ex-Präsident: Lula umringt von Anhängern beim Berlinbesuch (Foto: Jaroschewski)

Die politische Schlammschlacht in Brasilien nimmt absurde Ausmaße an — Vergleiche mit der Polit-Serie “House of Cards” zeigen zahlreiche Skandal-Parallelen auf. Mitten in einem Korruptionsskandal, der sich durch alle Parteien und die gesamte politische Spitze Brasiliens zieht, hat Präsidentin Dilma Rousseff den brasilianischen Ex-Präsidenten Lula zum Kabinettschef ernannt. Mit diesem Posten wäre Lula durch die Immunität vor den laufenden Ermittlungen gegen ihn geschützt — zumindest vorerst.

Über brasilianische Medien hat der Bundesrichter Sergio Moro daraufhin Telefonate zwischen Dilma und Lula geleakt, die den zweifelhaften Freundschaftsdeal betreffen. Die Opposition feiern Moro jetzt als Whistleblower im Kampf für die Demokratie, Kritiker prangern den Justizmissbrauch an. Kurz nach der Zeremonie wird die Ernennung Lulas von einem Richter allerdings wieder für ungültig erklärt.

Mit diesem Schachzug, ihren Mentor Lula, aus dem Visier der Ermittler zu retten, macht sich Präsidentin Dilma Rousseff, deren Beliebtheitswerte ohnehin im Sinkflug sind, noch angreifbarer — die Opposition, die die Amtsenthebung beziehungsweise den Rücktritt der Präsidentin fordert, ist allerdings ebenso korrupt. Führungspersönlichkeiten aller Parteien sind in den Korruptionsskandal verwickelt, mehrere Abgeordnete parkten Schwarzgeld im Ausland, wie in Liechtenstein.

In den sozialen Netzwerken, aber auch offline beschimpfen sich Kritiker und Unterstützer der Regierung, aber auch die von jeglicher Politik Enttäuschten. In der Hauptstadt Brasilia prügelten sich Demonstrierende, auch mit Holzlatten im Einsatz. Alle schimpfen auf „die Lügenpresse“ und werfen der jeweils anderen Seite schmutzige Tricks und Populismus vor, auch die Fronten in der Bevölkerung verhärten sich.

Neue Proteste gegen teure Tickets

An der Ticketpreiserhöhung im Nahverkehr haben sich in Brasilien erneut Proteste entzündet – in Städten wie São Paulo, aber auch Rio und Belo Horizonte sind die Brasilianer auf die Straßen gegangen. An diesem Samstag sind die Ticketpreise für Busse, Metro und Nahverkehrszüge von 3,50 auf 3,80 Reais gestiegen.

Gerade für Brasilianer, die nur ein geringes Monatseinkommen haben, machen die paar Cents mehr pro Ticket im Monat tatsächlich einen eklatanten Unterschied im Budget aus. Zudem sind die Ticketpreise ein Symbol für den harten Sparkurs während der Krise auch im sozialen Bereich – während Millionen in die Großereignisse WM und Olympia geflossen sind und ein politischer Korruptionsskandal das Land erschüttert.

Die Größe der Sozialproteste 2013 erreichten die neuen Proteste allerdings nicht. In São Paulo wurden 17 Protestierende von der Polizei festgenommen. Wie auch bei Protesten in der Vergangenheit kam es zu Zusammenstössen zwischen einigen Protestierenden und Polizisten. Busse brannten, einige Banken wurden beschädigt. Videos, die Aktivisten auf Facebook hochgeladen haben, zeigen aber auch, wie die Polizei Schlagstöcke und Pfefferspray gegen Demonstrierende einsetzt.

Bildschirmfoto 2016-01-10 um 13.15.26

Protest im Complexo do Alemão

Hunderte haben heute nach dem Tod des 10-jährigen Eduardo im Complexo do Alemão friedlich gegen die Gewalt in Rios Favelas protestiert. Aktivisten aus der Favela hatten den Protest über soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter organisiert.

Ab 10 Uhr versammelten sich die Bewohner und Unterstützer im Complexo do Alemão zu Diskussionen. Etwa eine Stunde später musste die Mutter in Begleitung von Angehörigen des getöteten Eduardo die Demonstration verlassen, weil es ihr nicht mehr gut ging.

Beim anschließenden Protestmarsch skandierten die Bewohner “Weg mit der UPP” und “Ich möchte nur glücklich in meiner Favela leben können”. Vorbeifahrende Spezialtruppen der Polizei, BOPEs und Batalhão do Choque wurden ausgebuht.

An der Spitze des Zuges liefen Kinder, bemalt mit “Frieden” und “weniger Kugeln, mehr Liebe”. Viele Bewohner ergriffen emotional das Mikrofon, um ihren Unmut und die Wut über die anhaltende Gewalt in ihrem Armenviertel zu demonstrieren.

Viele Favelabewohner trugen weiße Kleidung oder wedelten dem Marsch durch die Favelas des Complexo mit weißen Tüchern als Friedensflaggen zu. Selbst die Mototaxi-Fahrer gaben dem Protestzug Geleit, auch zahlreiche Kinder nahmen an der Veranstaltung teil. Am Sonntag soll das mutmaßlich von Polizisten getötete Kind begraben werden.

 

Eine Uni für die Favela

Kunst auf dem Kopf: So sehen Haartattoos eigentlich aus (Foto: BuzzingCities)

Neue Chance für die junge Generation: Eine Uni in der Favela (Foto: BuzzingCities)

Mit einer ePetition fordern Bewohner des Complexo do Alemão, dass sie endlich eine eigene Universität erhalten. Eine Niederlassung des Instituto Federal do Estado do Rio de Janeiro (IFRJ) sollte mitten in die Favelasiedlungen des Complexo, in denen Hunderttausende Menschen leben, gebaut werden – und der jungen Favela-Generation einen direkteren Zugang zur Hochschulbildung eröffnen.

Schon 2011 war das Vorhaben zwischen Bildungsministerium und dem Institut mit einem Vertrag besiegelt worden. Resultat: „Jetzt ist schon 2015 und bis jetzt, nichts“, so die Petition. „Obwohl die Stadtverwaltung anfangs zugesagt hat, dass sie die Initiative unterstützt, ist sie in der Praxis das größte Hindernis für die Einrichtung des IFRJ im Alemão.“

Seit 2011 geplant: die Favela-Uni (Screenshot)

Seit 2011 geplant: die Favela-Uni (Screenshot)

Der Vorwurf: Die Stadtverwaltung gebe das Gebiet nicht frei, auf dem die Errichtung des Favela-Campus geplant war. Stattdessen werde das Gebiet von der Befriedungspolizei genutzt. Da die vertraglich festgelegte Zeitspanne für den Uni-Bau aber bald abläuft, könnte das gesamte Projekt dadurch scheitern.

Mrs. President

Es blieb knapp, verdammt knapp, bis zuletzt.

Bildschirmfoto 2014-10-26 um 23.35.17

Brasilianer fieberten in den sozialen Netzwerken wie bei einem Feuerwerk mit, zählten die Minuten, dann Sekunden herunter, bis die geheim ausgezählten Ergebnisse veröffentlicht wurden. Und selbst dann war die Spannung nicht vorbei: Denn die amtierende Präsidentin Dilma Rousseff lag vorn, aber nur knapp zwei Prozentpunkte – und fünf Prozent der Stimmen waren noch nicht ausgezählt.

Bildschirmfoto 2014-10-26 um 23.36.58

Der Endspurt blieb damit dem Wahlverlauf treu – unvorhersehbar bis zum letzten Moment:

B058V1jIYAIXmlr

Damit haben mehr als 54,2 Millionen Dilma Rousseff im Amt bestätigt, mehr als 50,9 Millionen haben Aécio Neves gewählt – bei insgesamt 143 Millionen wahlberechtigten (und wahlpflichtigen) Brasilianern. Für Dilma Rousseff ist es also kein überzeugender Sieg, sie hat keine absolute Mehrheit hinter sich – und muss mit einer starken politischen Opposition rechnen.

Manche Anhänger von Aécio Neves rufen in den sozialen Netzwerken und bei Protesten in Brasilien nach militärischer Intervention und glauben, dass Brasilien nun ein zweites Kuba werden wird, die Stimmung ist zum Teil aggressiv aufgeladen. Neves selbst hat das Wahlergebnis nicht öffentlich kommentiert.

Bildschirmfoto 2014-10-26 um 23.28.20

Jetzt müssen den Wahlversprechen Taten folgen – auch Dilmas Anhänger fordern Wandel für das Land.

Wahlwahnsinn in Brasilien: #EleiçõesLimpas

Brasilien hat gewählt, Berge von Flyern und Postern überschwemmen jetzt die Straßen. Mit dem Hashtag #EleiçõesLimpas, “Saubere Wahlen”, dokumentieren Brasilianer online den Dreck, den die Kandidaten und ihre Teams hinterlassen haben – auch in Rios Favelas.

Wahlwahnsinn

Ganz sauber sind die Wahlen auch inhaltlich nicht verlaufen. Noch am Morgen der Wahl verteilten Helfer von Abgeordneten etwa im Bundesstaat Maranhão Beutelchen mit kleineren Summen, um Wähler kurz vor dem Gang zur Urne zu beeinflussen.

Stimmenkauf hat auch in den Favelas eine lange Tradition. Kriminelle Gruppen kontrollieren, wer in den bevölkerungsreichen Armenvierteln Wahlwerbung betreiben darf und die Stimmen erhält. So wurden auch diesmal mehrere Politiker im Vorfeld der Wahlen daran gehindert in Favelas wie der Rocinha Wahlplakate aufzuhängen oder Wahlkampfveranstaltungen abzuhalten.

Ernüchterung für Marina Silva

Präsidentin Dilma Roussef konnte im ersten Wahldurchgang etwa 41 Prozent der Stimmen holen. Überraschend tritt sie bei der Stichwahl am 26. Oktober aber nicht gegen die Herausfordererin Marina Silva an, der im Vorfeld große Chancen eingeräumt wurden, sondern gegen Aécio Neves. Der Ökonom, Senator, Ex-Gouverneur und Zögling einer Politikerfamilie lag in den Umfragen während des Wahlkampfes weit zurück, erreichte aber bei der Wahl 34 Prozent der Stimmen.

Marina Silva überzeugte zwar mit ihrer Vergangenheit, dem Aufstieg von der Kautschukpflückerin und dem Hausmädchen zur engagierten Umweltpolitikerin. Doch ihr fehlten eine starke Partei im Rücken und politische Inhalte – zahlreiche Standpunkte wechselte sie so radikal, das sie zuletzt wenig glaubwürdig erschien.

Neben Präsidentschaftswahl und Parlament wurden auch die Gouverneure der 27 Bundesstaaten und ein Drittel der Senatoren bestimmt. In Rio de Janeiro wird der amtierende Gouverneur Luiz Fernando Pezão (PMDB), der 40,57 Prozent der Stimmen erhielt, bei der Stichwahl Ende Oktober gegen Marcello Crivella (20,26 Prozent) antreten.

#FavelasOnline: BuzzingCities bei der Social Media Week

Bildschirmfoto 2014-09-27 um 23.02.02

Bildschirmfoto 2014-09-27 um 23.15.49

Bei der Social Media Week Berlin haben wir darüber gesprochen, wie die Digitalisierung die Favelas und politische Partizipation und Protest verändert.

“Mit Social Media wie Facebook, Twitter und Blogs wird transparenter, was in den Favelas geschieht. Das Netz erleichtert Bewohnern die Verbreitung und den Zugang zu Informationen und die Mobilisierung, etwa zu Protesten. Auch die Besetzung von knapp 200 Favelas vor den Großereignissen WM und Olympia durch die Polizei wird kontrovers diskutiert – und Favelabewohner warnen sich in den sozialen Netzwerken vor Schießereien zwischen Drogengangs und Polizei, suchen nach Verschwundenen oder denunzieren Menschenrechtsverletzungen, Kriminalität oder riskante Baustellen und Löcher in den Straßen.

Die Veranstaltung soll vermitteln wie informelle Siedlungen wie Favelas mit sozialen Medien eine stärkere Präsenz im urbanen Raum und auch einen größeren Einfluss auf politische Entscheidungen erreichen können. Die Auslandsreporterinnen Julia Jaroschewski und Sonja Peteranderl haben für das Multimedia-Projekt BuzzingCities seit 2011 zahlreiche Interviews in den Favelas von Rio geführt. Sie leben und arbeiten immer wieder in der Favela Rocinha, der größten Favela von Rio, bloggen und twittern live aus der Favela und haben mit dem Favelawatchblog (@buzzingcities) auch das Geschehen in Rios Favelas vor und während der Fußball-WM verfolgt.”

Bildschirmfoto 2014-09-27 um 22.56.40

#FavelasOnline bei der Social Media Week Berlin

Social Media Week Berlin

Wie Social Media Politik, Medien, Wirtschaft, Wissenschaft, Städte, Kultur und irgendwie alles verändert wird die Social Media Week Berlin vom 22. bis 26. September 2014 ausloten. Die meisten Veranstaltungen sind kostenlos, für bestimmte Workshops und Veranstaltungen muss ein Ticket erworben werden. Wir werden auch dabei sein:

“Julia Jaroschewski and Sonja Peteranderl will focus on the digitalisation and changes in the slums of Rio de Janeiro. Although the attention of the mainstream media has waned post World Cup, Favela residents are using social networks to warn of shootings, search for lost friends and make human rights violations public.”

In Kürze mehr.

Präsidentschaftskandidat Eduardo Campos stirbt bei Flugzeugabsturz

Kurz vor den brasilianischen Präsidentschaftswahlen im Herbst ist einer der Kandidaten bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen. Der Privatjet, mit dem Eduardo Campos, der Präsidentschaftskandidat der Partido Socialista Brasileiro (PSB) unterwegs war, ist über einem Wohngebiet in Santos im Bundesstaat São Paulo abgestürzt.

Eduardo Campos, 49, wollte von Rio de Janeiro zu einer Wahlkampfveranstaltung reisen. Vermutlich geriet die Cessna 560XL in ein Unwetter. Sieben Menschen, zwei Piloten und alle fünf Passagiere, sollen Medienangaben zufolge bei dem Absturz gestorben sein.

Campos, der ehemalige Gouverneur von Pernambuco, war einer der beiden aussichtsreichsten Herausforderer der amtierenden brasilianischen Präsidentin Dilma Rousseff. Der Ex-Gouverneur von Pernambuco lag Umfragen zufolge mit Zustimmungswerten von etwa 8 Prozent als Präsidentschaftsanwärter auf Platz 3 – hinter Rousseff (36 Prozent) und Aécio Neves (2o Prozent).

Die prominente Politikerin Marina Silva, die Campos bei seiner Bewerbung als Präsidentschaftskandidat unterstützt, da ihre eigene Partei nicht zu den Wahlen zugelassen worden sind, sollte eigentlich mit an Bord sein. Doch eine Tag vor dem geplanten Abflug bestieg sie ein Flugzeug mit den Pressesprechern und befindet sich nun bereits in São Paulo.

Campos ist Vater von fünf Kindern. Erst am 10. August hatte er seinen 49. Geburtstag gefeiert.

Interview mit Campos: