Facebook-Post: Todesstrafe für Kritik an den Drogengangs

In den Favelas gilt das Gesetz des Schweigens. Eine Frau hat sich in sozialen Netzwerken über eine Drogengang beschwert – Mitglieder der Gang folterten und töteten sie daraufhin. Ihre Mörder wurden jetzt benannt.

Ende Februar 2018 hatte Helen Alves de Oliveira aus der Favela Cajú in Rio de Janeiro einen Facebook-Post geschrieben, am 5. März 2018 wurde sie ermordet. Ein Moto-Taxifahrer hatte ihre Aufenthaltsorte und Routen ausgespäht und sie an die Gangmitglieder verraten. Die Kriminellen entführten die Frau, folterten, erschlugen sie und zerstückelten die Leiche. Die Körperteile verbrannten und verscharrten sie.

“Wenn ein Kind, ein Jugendlicher, oder ein Erwachsener der Gewalt zum Opfer fällt, wenn er auf dem Heimweg von der Schule, von der Arbeit oder Kirche ist, oder zuhause arbeitet, bin ich die Erste, die schreit und das Verbrechen anprangert”, hatte sie zuvor auf Facebook geschrieben. “Aber wenn einer stirbt, weil er Drogen verkauft, mit Waffe und Funkgerät, dann ist es besser, nicht mit mir darüber zu sprechen. Es war vor allem, weil er einen Polizist einen Feigling genannt hat. Feigling warum? Wenn er nicht geschossen hätte, dann wäre er nicht gestorben und umgekehrt. Der Krieg ist zum Sterben da, Bruder.”

Offenbar zuviel der Beleidigung für die lokale Drogengang. Gegen sieben Männer, die die Favelabewohnerin ermordet haben und ihre Leiche verschwinden ließen, liegen nun Haftbefehle vor. Der Drahtzieher des Mordkommandos soll der lokale Drogenchef Luiz Alberto Santos de Moura alias “Bob do Caju” sein. Zur Tatzeit saß er im Gefängnis – seine Leute hatten den Facebook-Post gefunden, ihn ausgedruckt und ihm vorgelegt. Er ordnete den brutalen Vergeltungsschlag an.

Was klingt wie ein kaum vorstellbarer Mord für eine Lappalie, kommt in Rios Favelas immer wieder vor. Wer sich gegen die Drogengangs wendet, gilt als Verräter – ein tödliches Verbrechen. Ihre Racheakte verbreiten die Gangs dann, um andere Bewohner und ihre Rivalen abzuschrecken – auch in den sozialen Netzwerken.

Bob do Caju: Mordbefehl aus dem Gefängnis (Fahndungsfoto)

Bob do Caju: Mordbefehl aus dem Gefängnis (Fahndungsfoto)

#Marielle Protest: “Wir werden uns nicht zum Schweigen bringen lassen”

Vor sieben Monaten wurde die junge, schwarze Abgeordnete Marielle Franco ermordet. Sie kämpfte gegen Polizeigewalt und Milizen in Rios Favelas. Mehr als 1000 Menschen haben heute in Rio Straßenschilder mit ihrem Namen hochgehalten – und gegen die zunehmende Gewalt und Rassismus in Brasilien protestiert.

Der Mord an Marielle Franco ist immer noch nicht aufgeklärt, sieben Monate nach dem politischen Verbrechen, bei der die Politikerin und ihr Fahrer gezielt erschossen wurden.  Heute haben in Rio mehr als 1000 Menschen symbolische Straßenschilder zu Ehren Marielle Francos in die Höhe gehalten, ein Straßenschild wurde auch temporär auf ein anderes Straßenschild geklebt. Es war auch ein Widerstand gegen rechte Bolsonaro-Anhänger, die vor kurzem ein Straßenschild mit Marielle Franco`s Namen zerbrochen hatten.

Die Unterstützer und die Familie Marielle Francos fordern die Aufklärung des Mordfalls und der politischen Hintergründe  – und wenden sich gegen den zunehmenden Rassismus und Hass im Land. “Wir werden uns nicht zum Schweigen bringen lassen”, so die Mutter von Marielle Franco zu Favelawatch/BuzzingCities Lab – auch wenn es schmerze.

Marielles Mutter (Credit:JJ/BuzzingCities)

Protest Marielle Franco

MarielleFranco_1Protest Marielle Franco Protest Marielle Franco Frauen

Mord-Monitor: Gewalt in Lateinamerika

Lateinamerika ist der Kontinent mit den höchsten Mörderraten weltweit, 14 der am meisten von Gewalt betroffenen Länder liegen in Lateinamerika und der Karibik. Mit dem “Homicide Monitor” hat das brasilianische Igarapé-Institut Statistiken, Polizei- und Gesundheitsdaten bis zum Jahr 2012 visualisiert – für Länder und einzelne Städte.

Honduras, El Salvador und Venezuela sind die Länder mit den höchsten Mordraten, doch auch Brasilien zählt mit 56.337 Morden im Jahr 2012 zu den Hotspots der Gewalt. Dabei sind die Mordraten in berüchtigten Metropolen, darunter auch São Paulo und Rio de Janeiro, in den letzten Jahrzehnten bereits gesunken.

Homicide Monitor Brasilien (Screenshot)

Lateinamerika hat die höchsten Mörderraten weltweit (Screenshot Homicide Monitor)

In Rio de Janeiro wird die Debatte um die tödliche Gewalt in der Stadt fast wöchentlich durch neue Vorfälle angeheizt – vor kurzem wurde am Innenstadt-See Lagoa ein Fahrradfahrer bei einem Raubüberfall erstochen. Diskutiert wird aktuell auch, ob das Jugendstrafrecht verschärft werden soll, da die Täter häufig noch minderjährig sind.

Die meisten Mordopfer sind in den meisten Fällen aber ebenfalls junge Männer aus informellen Siedlungen wie den Favelas, wie auch der Homicide Monitor zeigt. 91,6 Prozent der Mordopfer in Brasilien im Jahr 2012 waren männlich und mehr als die Hälfte zwischen 15 und 29 Jahre alt.

Homicide Monitor (Screenshot)

Die meisten Opfer: Jung und männlich (Screenshot Homicide Monitor)

Big Brother Brasil: Neue Folge im brasilianischen Polizeiskandal

Big Brother Brasil versetzt Brasilien in Aufruhr. Die Kandidaten sind nun in das BBB15-Haus eingezogen, einige Bewohner und Bewohnerinnen aus den Favelas von Rio ärgern sich, dass sie es nicht selbst in die Endauswahl geschafft haben – und zahlreiche schreiben sich zumindest auf der Onlineplattform „BigBrother Fake“ als Kandidaten ein.

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Überraschend hat sich Big Brother Brasil aber auch in eine neue Folge des brasilianischen Polizeiskandals verwandelt. Der 23-jährige Kandidat Luan Patrício hatte kurz nach seinem Einzug vor laufender Kamera erzählt, dass er während seiner Zeit als Soldat im Favela-Komplex Complexo do Alemão einen Minderjährigen erschossen hatte.

„Ich glaube, dass er jünger war als ich, ich war 19, er muss ungefähr 16 gewesen sein“, so Luan. „Mein Vorgesetzer hat mich angesehen und gesagt: “Entweder du oder er.” Das brasilianische Militär will nichts davon wissen, dass Luans Einheit einen Favelabewohner erschossen hat. Es wäre nicht das erste Mal, dass staatliche Sicherheitskräfte in den Favelas einen Menschen getötet hätten, der Mord aber vertuscht wurde. Das Geständnis hat Folgen: Luan erwartet in Kürze Polizeibesuch im Big Brother Haus – er soll zu dem Vorfall befragt werden.

BBB15-Kandidat Luan

Attacken auf Polizisten

Am Sonntag sind bei mehreren Attacken in verschiedenen Favelas von Rio de Janeiro erneut Polizisten angeschossen worden – einer starb, sechs Polizisten wurden verletzt.

Die Angriffe ereigneten sich in den Favelas Morro dos Macacos in Vila Isabel, auf der Ilha do Governador, in Vila Cruzeiro und in Irajá. In den meisten Fällen waren die Verletzungen Folge von Schießereien zwischen Polizei und Gangs – es passiert oft, dass Gangs und Polizei bei Patrouillen in den Favelas aufeinanderstoßen.

Ungewöhnlicher ist der Anschlag auf zwei Polizisten der UPP Mangueira, die sich nach Dienstschluss auf dem Heimweg befanden: Sie wurden gezielt von zwei Männern, die auf einem Motorrad unterwegs waren, angeschossen. Einer der Polizisten starb, einer wurde schwer verletzt.

Allein im Jahr 2014 sind in Rio de Janeiro bisher 74 Polizisten getötet worden.

Restaurantbesitzerin bei Raubüberfall erschossen

Überall Fernsehkameras vor dem Einkaufszentrum im Stadtviertel Gávea unterhalb der Rocinha: Die Restaurantbesitzerin Maria Cristina Bittencourt Mascarenhas ist heute bei einem Raubüberfall erschossen worden.

Die 66-Jährige hatte gerade 13.000 Reais, knapp 4300 Euro, von einer Bank im Einkaufszentrum abgehoben, um ihre Angestellten zu bezahlen. Ihr Restaurant “Guimas” liegt nur wenige Meter entfernt.

Als sie bei einem Straßenverkäufer stehenblieb, kamen zwei Männer auf einem Motorrad angefahren und versuchten ihr die Tasche zu entreissen – da sie reflexartig versuchte, die Tasche festzuhalten, schoss ihr einer der Räuber in den Kopf, dann flüchteten die Männer mit der Tasche.

Die Täter müssen die Restaurantbesitzerin entweder beim Abheben des Geldes beobachtet haben – oder sie kannten deren Routinen. Die Polizei wertet die Überwachungskameras des Einkaufszentrums aus. Der Fahrer des Motorrads trug zwar einen Helm, der Mann, der hinten auf dem Motorrad sass und den tödlichen Schuss abgegeben hat, aber nicht.

Polizeiskandal: Mord an dem Tänzer “DG”

Die Polizei in Rio ruiniert wiederholt ihren Ruf mit einem Skandal – aufgerollte Ermittlungen legen nahe, dass sie für den Tod von Douglas “DG” Rafael da Silva Pereira verantwortlich sind. Im April hatten Favelabewohner aus dem Pavão-Pavãozinho an der Straße vor der Favela protestiert, nachdem der junge “DG” tot aufgefunden worden war.

Seiner Mutter zufolge waren die Proteste damals ausgebrochen, weil die Favelabewohner verhindern wollten, dass der Körper des jungen Mannes ohne Spurensicherung abtransportiert wird. Die Favelabewohner werfen der Polizei vor, ihn getötet zu haben – und die Zweifel scheinen berechtigt.

Einem ersten forensischen Gutachten zufolge konnten die Ermittler keine Schusswunde entdecken. Auf Druck der Mutter und ihrer Unterstützer hin wurde die Leiche nun erneut von der Polícia Civil in Rio de Janeiro untersucht – die kamen zu einem anderen Fazit. Die Todesursache soll eine tödliche Kugel gewesen sein. Zwei der neun Polizisten trugen am Todestag von “DG” eine in Frage kommende Waffe, Kaliber .40, mit sich.

Zweifelhafte Beweise

Aussagen der Polizisten zufolge hatten sie sich eine Schießerei mit Mitgliedern einer Drogengang geliefert, die verschiedenen Versionen zufolge zwischen 30 Minuten und einer Stunde gedauert haben soll, “DG” soll dabei geflüchtet sein. Neben seiner Leiche wollen die Polizisten auch ein Walkie Talkie gefunden haben, die von Drogendealern in den Favelas oft benutzt werden. Mehrere Zeugen sprechen dagegen von in einem kurzem Zeitraum abgegebenen Schüssen, keiner Schießerei.

Die Mutter von “DG” glaubt, dass Polizisten ihren Sohn geplant gefoltert und exekutiert haben, weil er Ärger mit einem UPP-Befriedungspolizisten hatte. Sie hatte sich in den vergangenen zwei Monaten für eine Aufarbeitung des Falles eingesetzt.

Der Tod des jungen Mannes hatte im April ein internationales Medienecho ausgelöst – weil plötzlich Straßenbarrikaden in der Nähe der Strände, den Stadtvierteln Copacabana und Ipanema brannten und weil Douglas Rafael da Silva Pereira als Tänzer für eine TV-Show des größten brasilianischen Medienkonzerns “O Globo” gearbeitet hatte. Tragischerweise hatte der junge Mann auch in einem Kurzfilm mitgespielt, in dem er seinen eigenen Tod vorwegnimmt – der Film sollte gegen die Polizeigewalt in Rio und die Kriminalisierung von jungen Favelabewohnern protestieren. Nach dem Tod von “DG” protestierten auch Jugendliche aus anderen Favelas mit einer Kampagne in den sozialen Netzwerken gegen die tödliche Willkür. Ein Einzelfall ist der Tod von “DG” nicht.

Teilhaber von Favela-Club “Alto Vidigal” tot

Alto Vidigal

Alto Vidigal

Das “Alto Vidigal”, eines der ersten Favela-Hostels in Rio de Janeiro und der bekannteste Favela-Club, hatte sich nach Streitigkeiten um die Rechte an der Immobilie gerade wieder erholt – nun wurde heute Nacht Mille B. tot aufgefunden, der schwedische Geschäftspartner des Österreichers Andreas Wielend.

Während Andreas Wielend, der das “Alto Vidigal” aufgebaut hat, während der WM in Österreich ist, kümmerte sich Mille B. um den Betrieb des “Alto Vidigal”, lebte seit zwei Monaten in der Favela. Mitte Juni empfing er dort noch einen Reporter des österreichischen Boulevardblattes “Kronenzeitung”. “Willkommen in der Favela, ist ja ganz ungefährlich”, wird Mille B. in dem Artikel zitiert.

Polizisten der Befriedungspolizei UPP fanden den jungen Mann gestern in der Herberge, mit Verletzungen am Kopf und Kratzer am Körper. Der Polizei zufolge soll es sich nicht um einen Raubüberfall gehandelt haben, da aus dem Zimmer nichts entwendet wurde, in dem Mille B. gefunden wurde. Die Polizei sucht nach Zeugen und Verdächtigen, Kamerabilder aus der Favela werden derzeit ausgewertet.

 

Rocinha trauert: Neunjähriges Mädchen ermordet

In der Rocinha wurde Samstagnacht ein Mädchen von einer Feier entführt und ermordet – die Community ist geschockt.

 

Das Foto von der Beerdigung teilen Favelabewohner in den sozialen Netzwerken: Der Körper mit weißen Blumen bedeckt, ein schmales Gesicht, an Schläfe und um den Mund Spuren der Gewalt – viele Kommentatoren aus der Favela wünschen dem Täter die Todesstrafe, oder dass ihm die Hand abgehackt werde, mindestens.

Samstagnacht wurde die neunjährige Rebeca Miranda Carvalho dos Santos aus der Rocinha gegen 21 Uhr von einer Feier entführt, in einer kleinen Gasse vergewaltigt und erwürgt, die Leiche mit Ziegeln abgedeckt. Eine grausame Tat – Favelabewohner sagen, dass so etwas in der Rocinha noch nie zuvor geschehen sei.

Die Mutter des Mädchens hatte erst vermutet, dass der Täter nicht aus der Favela stammt – da niemand den Mann erkannt habe, der das Mädchen entführte. Zudem würden seit der Befriedung der Favela und der Installation der Befriedungspolizei (UPP) viele Fremde durch die Favela laufen.  Continue reading