UPP-Bilanz: 8000 Schießereien in 5 Jahren

Vier Schießereien pro Tag: So viele Auseinandersetzungen mussten Favelas in Rio de Janeiro 2017 erleben, die von der Befriedungspolizei UPP besetzt worden waren – die eigentlich als Stabilisator gedacht war. Jetzt geht die Zahl der Auseinandersetzungen zurück, doch dahinter steckt kein positives Phänomen.

Insgesamt 8.175 Mal lieferten sich UPP-Einheiten von Januar 2014 (dem Beginn des Fußball-WM Jahres) bis September 2018 Schusswechsel mit Kriminellen, wie ein Polizeidokument belegt, das EXTRA vorliegt. Die meisten Schießereien wurden in Nova Brasília im Complexo do Alemão registriert, einem Favela-Komplex im Norden von Rio de Janeiro. Allein im April 2014 war die dortige UPP-Einheit etwa in 36 Schießereien involviert. An zweiter Stelle des fragwürdigen Rankings: die berüchtigte Armensiedlung Cidade de Deus (“City of God”) – dort war schon während Olympia abzusehen, dass die Befriedungspolizei die Auseinandersetzung mit den Drogengangs verloren hat. Mittlerweile wurde die UPP dort abgezogen.

2017 war das konfliktreichste Jahr der gesamten Geschichte der Befriedungspolizei, die seit 2008 in ausgewählten Favelas von Rio de Janeiro stationiert worden war, um für Polizeipräsenz und Sicherheit in und um die Armensiedlungen herum zu sorgen. Insgesamt 2.142 Schießereien, also durchschnittlich eine Schießerei alle vier Stunden – wurden registriert. Die registrierten Schusswechsel haben sich von 2014 bis 2017 mehr als verdoppelt. In diesem Jahr sind die Auseinandersetzungen leicht zurückgegangen – allerdings nur, weil die UPP-Einheiten weniger auf Konfrontation setzen, ihre Präsenz stark abgenommen hat oder die Einheiten in mehreren Favelas komplett aufgelöst worden sind.

Zehn Jahre nach der Einführung eines Sicherheits-Experiments, das auf eine Polizei der Nähe und soziale Investitionen setzen wollte, ist die UPP am Ende – und der Staat kapituliert vor den Drogengangs, aber auch vor der komplexen sozialen Gemengelage in Rios Favelas und der gesellschaftlichen Ungleichheit, die im Lauf der Jahrzehnte dazu geführt hat, dass ganze Städte in der Stadt dem staatlichen Zugriff entzogen worden sind. Unter der Bolsonaro-Administration, die zum Jahresbeginn 2019 startet, ist die vollständige Rückkehr zur klassischen, militarisierten Politik der harten Hand zu erwarten.

Polizei und Militärs in Rios Favelas (Foto: BuzzingCities Lab)

Polizei und Militärs in Rios Favelas (Foto: BuzzingCities Lab)

Fackel mit Blutspuren: Polizeigewalt in Rio de Janeiros Favelas

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In Brasilien stirbt alle 23 Minuten ein schwarzer Jugendlicher zwischen 15 und 29 Jahren, 23.100 jedes Jahr, so das Ergebnis einer Arbeitsgruppe des Senats in der Hauptstadt Brasília. Doch während in den USA Tausende Menschen der „Black lives matters“-Bewegung auf die Straße gehen, um gegen Gewalt und Ermordungen der schwarzen Bevölkerung zu demons­trieren, kommt der Aufschrei hier von nur wenigen.

Julia hat für die Wochenendausgabe der Taz einen Artikel über die Situation im Complexo do Alemao in Rio de Janeiro geschrieben, wie die Militarisierung für die Großereignisse die Gewaltspirale anheizt – und wie neue Stimmen und digitale Tools die Gewalt in die Öffentlichkeit tragen, die lange unsichtbar war.

Olympia-Auftakt: BuzzingCities Lab bei Tagesschau24 über die Lage in Favelas

Während heute in Rio de Janeiro die Olympischen Spiele eröffnet werden, werfen Korruption und massive Militarisierung einen Schatten auf das Megaevent – und Rios Favelas kämpfen mit Gewalt. Die Unzufriedenheit bei vielen Brasilianern ist groß, zahlreiche Proteste sind für heute angekündigt.

Julia kommentiert im Live-Interview mit Tagesschau24 die Situation in Rios Favelas und die Sicherheitslage nach den Terrordrohungen.

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300 neue Polizeiautos für die UPP

UPP: Jetzt schon etwas angeschlagen (Foto: BuzzingCities)

Ziemlich ramponiert: UPP-Einsatzwagen mit Einschusslöchern in der Favela Rocinha (Foto: BuzzingCities)

Die Befriedungspolizei UPP, die in den besetzen Favelas von Rio de Janeiro präsent ist, wird mit neuen Polizeiautos ausgerüstet. 300 mit Mobiltechnologie ausgestatteten Autos verstärken die Flotte der UPP, die bisher 567 Autos umfasste. Die neuen Einsatzautos sind außen und innen mit nachtsichtfähiger Kameratechnik ausgerüstet, GPS und Computersystemen.

Auch acht neue Panzer für den Einsatz in Favelas wurden zugekauft, die unter anderem von der Spezialeinheit Bopes bei der Besetzung von Favelas benutzt werden. Sie wurden speziell aufgerüstet, damit die Panzer blockierte Straßen räumen können – Drogengangs hatten in der Vergangenheit Straßen und Gassen mit Gegenständen gesperrt, um den Sicherheitskräften die Besetzung der Favelas zu erschweren.

“Wir sind dabei, die ganze Flotte der UPPs zu renovieren, die sehr schlecht war”, so Luiz Fernando Pezão, der Gouverneur von Rio de Janeiro. Tatsächlich sehen viele Autos der UPP ramponiert aus, sind eingedellt, teilweise voller Einschusslöcher, einige Autos wurden auch durch Steinwürfe demoliert.

Die UPP in Cidade de Deus wird 20 neue Autos erhalten, die Favela Rocinha 18 und das Complexo do Alemão 49. Sowohl in der Rocinha als auch im Complexo do Alemão kommt es immer wieder zu Gefechten zwischen Polizei und Drogengangs, was den Bedarf an neuer Polizeiausrüstung erklärt. Die Region Grande Tijuca, in der die Favelas Borel, Formiga, Salgueiro, Macacos, Andaraí und Turano liegen, erhält 35 neue Autos.

UPP in der Krise: Kampf um die Favelas

Die UPP-Einheiten sollten den Favelas den Frieden bringen, doch kurz vor der WM zeichnet sich immer deutlicher ab, dass die Besetzungsstrategie vor allem in den größeren Communities wie Complexo do Alemão, Penha und in der Rocinha alles andere als erfolgreich verläuft.

Die Besetzungsstrategie sieht eigentlich vor, dass Favelas zuerst militärisch eingenommen werden, in einem zweiten Schritt sollen sogenannte UPP-Polizisten dauerhaft in den Favelas stationiert werden, die eigentlich leichter bewaffnet und bevölkerungsnah auftreten sollen. Doch am vergangenen Samstag mussten die BOPE-Spezialeinheiten die Favelasiedlungen Complexo do Alemão und Complexo da Penha erneut militärisch besetzen, jetzt sollen dort bis zu 300 BOPE Präsenz zeigen.

Ende 2010 hatten Militärs und Polizisten den Complexo do Alemão gestürmt, mehrere Menschen starben damals bei den Schusswechseln zwischen Drogengang und staatlichen Sicherheitskräften. In den vergangenen Monaten hatten sich Auseinandersetzungen zwischen Drogengangs und UPP zugespitzt. In vielen von der UPP besetzten Favelas treten die Gangs pünktlich vor der WM wieder selbstbewusst in Erscheinung, wollen ihr Terrain zurückerobern, in mehreren Favelas haben sie bereits No-Go-Zonen etabliert, die von der Polizei nicht mehr betreten werden. Im vergangenen Monat sind vier UPP-Polizisten von Drogengangs ermordet worden.

Außerdem ist das Ansehen der Polizei bei der Favelabevölkerung durch Folterskandale wie in der Rocinha und hartes Vorgehen gegen Demonstrierende geschwächt. Im Complexo do Alemão war es in der vergangenen Woche zu Protesten und Auseinandersetzungen zwischen Favelabewohnern und Polizei gekommen – nach der Ermordung eines UPP-Polizisten waren mehrere Verdächtige festgenommen worden, den Favelabewohnern zufolge auch Unschuldige.

Nun soll nationales Militär den Sicherheitskräften in Rio de Janeiro zur Hilfe kommen. Und die UPP hat ein hartes Vorgehen gehen die Drogengangs angekündigt.

Schocktruppe am Eingang der Rocinha (Foto: BuzzingCities)

Schocktruppe am Eingang der Rocinha (Foto: BuzzingCities)