Brasilien ist weltweit das Land mit den meisten Hausmädchen — die oft aus Favelas kommen. Unsere Gastautorin Michele Silva ist selbst Tochter eines Hausmädchens und erzählt von Aufstieg und Konflikten der jungen Generation.
Es ist nicht selten, dass man inzwischen Menschen aus armen Familien trifft, die studieren, und sich eine Karriere erkämpfen. Sie sind hier, es sind viele, und sie haben keinen Heldenstatus. Doch wenn man sie sich etwas aufmerksamer ansieht, kann man hinter jeder dieser Personen eine Geschichte entdecken.
Brasilien hat weltweit die größte Anzahl von Hausmädchen. Mehr als sieben Millionen Menschen arbeiten der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zufolge in diesem Beruf, hauptsächlich Frauen. Der Film „Que Horas Ela Volta?“ (Deutscher Titel: „Der Sommer mit Mama“) präsentiert Brasilien und der Welt dieses Thema und ermöglicht es, die Geschichten wahrzunehmen, die sonst in den meisten Fällen hinter jeder Uniform, hinter jedem „Ja, Senhora“ verborgen bleiben.
Dieser Film hat mich mit meinen eigenen Vorurteilen konfrontiert — ich habe Jessica, die Tochter des Hausmädchens ab der ersten Szene gehasst. Ich hielt sie für ziemlich dreist. Als ich den Film gesehen habe, habe ich irgendwann meine Mutter, mich und meine Geschwister in dem Film wiederentdeckt.
Die Szene, die mir am meisten in Erinnerung geblieben ist, war, als die Hausherrin das Hausmädchen gefragt hat, welchen Kurs ihre Tochter an der Universität belegen möchte und die Mutter wusste es nicht. 2011 habe ich den Studiengang Werbung und Propaganda abgeschlossen. Bis heute erzählt Dona Jô, meine Mutter, die selbst Hausmädchen ist, anderen Menschen, dass ich dort studiert hätte — „Ich glaube BWL”.
Das sie das nicht weiss, hat nichts mit ihrer Liebe zu mir zu tun. Sie musste sich als angestellte Mutter einfach mehr um fremde Kinder kümmern und mehr Zeit mit ihnen verbringen als mit ihren eigenen.
Die Tochter im Film, Jéssica, hat es gut ausgedrückt: „Ich halte mich nicht für besser, aber auch nicht für schlechter als andere.” Wenn man nicht ein wenig dreist ist, im positiven Sinn, wäre es schwieriger, gegen die Statistiken anzukämpfen. Im Film hat die Tochter des Hausmädchens es geschafft, die Uni-Prüfung zu schaffen und Architektur zu studieren. In meinem Kopf hat das einen Kreis geschlossen.
Ich würde mir wünschen, dass meine Mutter die Gelegenheit hätte, sich den Film anzusehen, weil ich glaube, dass sie sich, genauso wie ich, in diesem Film wiederfinden würde. Aber sie hat nicht die Möglichkeit gehabt, weil sie viel arbeitet und die Müdigkeit sie auffrisst. Sie hat einige Szenen gesehen, zwischen dem einem und dem anderen Nickerchen — wie die als die Hausangestellte im Swimmingpool ihrer Arbeitgeberin ist, und meine Mutter sagte: „Ich wollte das immer mal machen.“ Ich dachte mir schweigend: „Du wirst diese Möglichkeit schon noch haben, aber nicht in dem Haus deiner Arbeitgeberin, sondern in deinem eigenen Haus.“
Bei der letzten Sitzung von Fala Roça, dem Magazin für das ich schreibe, kam dann genau dieses Thema auf: Wie die Söhne und Töchter von Menschen mit einer niedrigen Bildung heute einen anerkannten Universitätsabschluss haben möchten und eine Karriere, was bis vor kurzem noch nicht möglich war. Die Kinder von Bauarbeitern wollen jetzt Ingenieure werden. Und das Beste: Sie schaffen es sogar. Ich bin Teil dieser Bande. Und eine Menge meiner Freunde auch, und Freunde von Freunden. Ich bin dankbar, dass ich das erleben kann.