Blackyva: Black Diva aus der Favela

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Schwarz, aus dem Armenviertel und transsexuell: Performance-Künstlerin „Blackyva“ aus Rio de Janeiro bringt die Zerrissenheit Brasiliens auf die Bühne. Für die Wochenendausgabe der Mittelbayerischen Zeitung hat Julia die Künstlerin portraitiert.

Kinder fangen bei ihrem Anblick an zu weinen, vor kurzem hat sie an einer Schule eine Performance vorgeführt, die Jugendlichen waren schockiert. „Wenn ich mit dem blauen Auge auf der Straße herumlaufe, erschrecken sich die Leute“, sagt Blackyva. „Es symbolisiert die alltägliche Gewalt, die ich ertragen muss, und die auch meine Mutter erlitten hat“ – Gewalt in der Familie, dazu noch dreifache Diskriminierung. Denn Blackyva ist schwarz, transsexuell, lebt in einer Favela, der Rocinha, dem größten Armenviertel von Rio de Janeiro. Das blaue Auge hat sie kämpferisch zu ihrem Markenzeichen gemacht. Heute nur noch mit Make-up.

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Die 22-Jährige will Menschen schockieren, damit sie beginnen, die Dinge in Frage zu stellen. In ihren Performances verarbeitet sie eigene Probleme und Konflikte, in den persönlichen Erfahrungen spiegeln sich aber auch die großen sozialen Herausforderungen, die Brasilien bewältigen muss: die massive Einkommensschere, Rassismus, Diskriminierung, Gewalt, die Schwierigkeit, als junger, schwarzer, armer Brasilianer zu sich selbst zu finden – und zu einer Stimme.

Blackyva: Favela Rising (Foto: BuzzingCities Lab)

Blackyva (All Photo Credits: BuzzingCities)

Mars da Favela: “Crystals not Pistols”

Als die australische Rapperin und Schmuckdesignerin Mars Castro 2010 zum ersten Mal nach Rio kam, verknallte sie sich – in Rio und einen jungen Mann aus der Favela Rocinha. Sie ließ sich von lokaler Kultur und der Drogengang inspirieren – und verwandelt jetzt Munition in tragbare Kunst. In English, please.

"Crystals not Pistols (Foto: Mars da Favela)

“Crystals not Pistols (Foto: Mars da Favela)

Was hattest du für eine Vorstellung von Favelas, bevor du Rocinha besucht hast? 

Das Einzige, was ich über Favelas wusste, war, dass es dort Baile Funk und Funk-Partys gibt. Ich bin Rapperin und bin nach Brasilien gekommen, um mit DJ Marlboro zu arbeiten. Aber er hängt nicht in den Favelas herum, er ist ziemlich kommerziell geworden. Es war so gedacht, dass wir ihn als Teil seiner großen Groupie-Gefolgschaft überall hinbegleiten sollten, von der VIP-Loge bei seinen Gigs zu seinem Haus – das war ganz schön sexistisch. Ich habe mich dann nach einer Weile von der Gruppe verabschiedet, weil ich authentische Leute kennenlernen wollte.

Wie hast du dann die Favela Rocinha entdeckt?

Ich habe einen Mann aus der Favela kennengelernt – und er war völlig anders als die Leute vom „asfalto“, also die, die nicht in einer Favela wohnen, und anders als die Möchtegerns, mit denen ich meine Zeit verbracht hatte. Er war authentisch und nicht so abgehoben.

Als ich alle seine Freunde, seine Familie kennenlernte, hatte ich endlich das Gefühl, Cariocas richtig kennenzulernen und mit einer großen Community herumzuhängen. Eine endlos lange Lovestory später fand ich mich in der Favela Rocinha wieder, wo ich mit ihm und seiner Familie lebte. Er ist jetzt mein Ehemann – und wir leben mit einem Fuß in Melbourne, Australien, und mit dem anderen in Rocinha, Rio.

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Wie würdest du die Atmosphäre in der Favela beschreiben?

Rocinha ist für mich mein zweites Zuhause. Es ist eine tolle, lebendige Community, voller liebenswerter Menschen, die hart arbeiten. Als ich mit reicheren Brasilianern unterwegs war, habe ich aber erlebt, dass es immer noch ein großes Stigma ist, in einer Favela zu leben und wie groß die Kluft zwischen der Arbeiterklasse aus der Favela und den Wohlhabenderen ist.

Die Medien heizen das Vorurteil an, dass Favelas gefährliche Orte sind, aber du kannst den Mainstream-Medien nicht vertrauen. Natürlich gibt es in der Favela Waffen und Drogengangs – aber eine Favela ist kein rechtloser Ort. Keiner rennt herum und schießt einfach so auf Menschen, wie es in Filmen oder in den Nachrichten oft dargestellt wird.

Die einzige Ordnung die ich in Rio jemals gesehen habe, war in der Favela. Es gibt dort die Gesetze der Favela: Keine Morde, kein Diebstahl, keine Vergewaltigungen, keine Gewalt – das wird alles nicht toleriert. Ich habe mich in der Favela viel sicherer als außerhalb der Favela gefühlt. Dieses Gesetz, dass der Chef der Favela geschaffen hat, soll absichern, dass es in der Favela friedlich und ruhig ist und dass die Polizei draußen bleibt – damit die Drogendealern ungestört ihren Geschäften nachgehen können. Sie können nicht aus der Favela heraus, weil sie dann verhaftet werden würden – also versuchen sie sich die Favela zu einem möglichst angenehmen Ort zu machen.

Ich habe Nem, den Boss, getroffen, bevor er verhaftet wurde und er hat Geld aus dem Drogengeschäft ausgegeben, um Reparaturen und Bauarbeiten in der Favela zu bezahlen, er hat ärmeren Bewohnern Geld für Medikamente gegeben und für die jüngeren Leute Partys geschmissen. Die Drogengangs haben in den letzten 30 Jahren die Infrastruktur aufgebaut, auch die Wasserversorgung. Die Regierung wollte nichts mit den Favelas zu tun haben – für den Staat sind Favelas Probleme, die nicht mal auf der Karte erscheinen.  Continue reading