Polizei-Legende Marina Magessi: Das letzte Interview

Eine Frau, die Brasiliens größte Drogenbosse jagte: Marina Magessi war Rio de Janeiros bekannteste Fahnderin. Vor kurzem haben wir noch ein Interview mit der Polizei-Legende geführt, jetzt ist sie mit 58 Jahren gestorben.

Eine Frau, die sich in der Machowelt durchsetzen konnte: Als Marina Magessi bei der brasilianischen Polizei anfing, war es noch ein ungewöhnlicher Anblick, dass sich eine Frau in die Abgründe der Sicherheitspolitik und die Brennpunkte von Rio wagte. Magessi stieg zur anerkannten Sicherheitsexpertin auf, war die erste Chefermittlerin der Zivilpolizei Rios und mehrere Jahre lang als Abgeordnete politisch aktiv. Mit ihrem Team gelangen ihr Festnahmen von kriminellen Schwergewichten wie Ernaldo Pinto de Medeiros, Uê oder Robertinho de Lucas.

Magessi war legendär, anerkannt, aber auch umstritten: Gegen sie wurde aufgrund möglicher Verbindungen zu Milizen ermittelt. Vor kurzem haben wir Marina Magessi für unseren Dokumentarfilm lange interviewt.

Last interview: Marina Magessi 2017 in Rio (Credits: Julia Jaroschewski/Sonja Peteranderl)

Last interview: Marina Magessi 2017 in Rio (Credits: Julia Jaroschewski/Sonja Peteranderl)

Magessi rauchte eine Zigarette nach der anderen und erzählte mit ihrer markanten, tiefen Stimme und mit beißendem Humor von ihren Jahrzehnten bei der brasilianischen Polizei, Organisierter Kriminalität in Rio, Fahndungserfolgen, Korruption, dem schwer zu durchbrechendem Kreislauf der Kriminalität in Rios Favelas und ihren Zukunftsplänen.

Magessi, 58, dachte darüber nach selbst wieder aktiv zu werden und eine NGO zu gründen, um im Dialog mit Sicherheitskräften, Kriminellen und Favelabewohnern Lösungen für die exzessive Gewalt in Rio de Janeiro zu finden.

Dazu kam es nun nicht mehr.

Prä-Olympia-Chaos: Ein Känguru für die Australier

Skandal um die Unterkunft des australischen Sportlerteams: Die Unterkunft ist heruntergekommen, die Toiletten und die Duschen funktionieren nicht zuverlässig, die Stromleitungen sind marode. So könnten sich die Sportler nicht voll auf den Sport konzentrieren, kritisierte die Leiterin der australischen Olympischen Delegation. Die Sportler warten jetzt im Hotel darauf, dass die Unterkunft noch bis Mittwoch bezugsfertig wird. Prinzip Hoffnung.

Für Rio ist die Beschwerde ein Angriff auf den Carioca-Stolz: Eduardo Paes, Bürgermeister von Rio, konterte statt mit Professionalität mit Ironie und machte sich arrogant über die Australier lustig: “Unseres Olympiadorf ist viel schöner als eures (in Sydney) war”, so Paes. Er würde den Australiern aber auch “ein Känguru besorgen”, um sie glücklich zu machen. Die Haltung symbolisiert die grundsätzliche Einstellung der Stadt: Es wird schon schiefgehen – wer sich beschwert, ist selbst schuld.

Die kubanischen Athleten sind bisher noch abgelegener untergebracht, bis sie Anfang August in das Olympische Dorf umziehen: In einem Hostel in Rios Nordzone, in dem sich auch Rio2016-Freiwillige günstig einquartiert haben. Bisher ohne Beschwerden.

Express-Entführung eines Australiers

Am Samstag wurde außerdem ein Jiu-Jitsu-Kämpfer aus Neuseeland auf dem Weg vom Training nach Rio de Janeiro von Männern in Polizeiuniform gestoppt und dazu gezwungen, am Geldautomaten ein “Bußgeld” abzuheben – eine klassische Expressentführung, wie sie auch in Ländern wie Bolivien oder Mexiko vorkommt. In Brasilien sind solche Expressentführungen von Touristen aktuell noch kein Massenphänomen. Ob es sich tatsächlich um kriminelle Polizisten oder Kriminelle in Polizeiuniform handelte, ist noch nicht bestätigt – Fake-Polizisten setzen in Rio immer wieder falsche Verkehrsstopps auf, um Autofahrer auszurauben.

Bildschirmfoto 2016-07-24 um 21.28.45

Fake-Polizeikontrolle und Überfalle in Rio: Olympia-Teilnehmerin ins Gesicht geschossen

Im Norden von Rio de Janeiro ist eine Frau in eine Fake-Verkehrskontrolle von Gangstern geraten — und wurde angeschossen, als sie versuchte, vor den Kriminellen zu flüchten. Die Psychologin überlebte schwer verletzt. Ob sie wie geplant an den Olympischen Spielen teilnehmen kann, ist unklar — sie hatte sich im Luftgewehrschießen für die Teilnahme qualifiziert.

Der 28-Jährigen gelang es zwar noch wegzufahren, doch Kugeln schlugen in ihr Auto ein und sie wurde im Gesicht getroffen — verletzt fuhr sie noch etwa 50 Meter weiter und krachte dann mit dem Auto gegen die Wand der U-Bahnstation Inhaúma. Die Sicherheitskräfte einer Polizeiwache in der Nähe trafen auf vier Kriminelle, die das Feuer auf die Polizisten eröffneten. Zwei weitere Personen waren vor der Frau von den Fake-Polizisten überfallen worden.

Immer wieder setzen Kriminelle Fake-Kontrollen auf, stoppen Fahrzeuge — und rauben die Insassen dann aus oder flüchten zum Teil auch mit dem Auto. Gelegenheitskriminelle und Überfallkommandos nutzen aber auch Staus: Bei einem Stau in der Nähe der Favelasiedlungen des Complexo da Maré nutzten Kriminelle ihre Chance, raubten ein Auto nach dem anderen aus. Die Fahrer hatten keine Chance zu flüchten.

Gefährlich kann es auch werden, wenn Navi-Apps wie Waze Autofahrer irrtümlich in falsche Richtungen oder durch riskante Gebiete leiten — im vergangenen Jahr lotste die Verkehrs-App ein älteres Ehepaar in eine Favela. Die Frau starb, als die Gangster, die den Eingang der Favela kontrollierten, das Fahrzeug beschossen. 

Restaurantbesitzerin bei Raubüberfall erschossen

Überall Fernsehkameras vor dem Einkaufszentrum im Stadtviertel Gávea unterhalb der Rocinha: Die Restaurantbesitzerin Maria Cristina Bittencourt Mascarenhas ist heute bei einem Raubüberfall erschossen worden.

Die 66-Jährige hatte gerade 13.000 Reais, knapp 4300 Euro, von einer Bank im Einkaufszentrum abgehoben, um ihre Angestellten zu bezahlen. Ihr Restaurant “Guimas” liegt nur wenige Meter entfernt.

Als sie bei einem Straßenverkäufer stehenblieb, kamen zwei Männer auf einem Motorrad angefahren und versuchten ihr die Tasche zu entreissen – da sie reflexartig versuchte, die Tasche festzuhalten, schoss ihr einer der Räuber in den Kopf, dann flüchteten die Männer mit der Tasche.

Die Täter müssen die Restaurantbesitzerin entweder beim Abheben des Geldes beobachtet haben – oder sie kannten deren Routinen. Die Polizei wertet die Überwachungskameras des Einkaufszentrums aus. Der Fahrer des Motorrads trug zwar einen Helm, der Mann, der hinten auf dem Motorrad sass und den tödlichen Schuss abgegeben hat, aber nicht.

Eskalation der Gewalt

Bei unseren Favela-Podiumsdiskussionen in Deutschland sind viele Besucher erstaunt, wie viel Positives (vom digitalen Wandel bis zum politischen Engagement oder Kreativität der Favelabewohner) sich aus den Armenvierteln von Rio de Janeiro berichten lässt. Doch zur Zeit häufen sich leider auch die schlechten Nachrichten aus Rio.

In den Favelas prallen Polizei und Drogengangs immer heftiger aufeinander – während die WM naht, treten die Gangs in vielen Favelas wieder selbstbewusster auf und werden wieder sichtbarer im öffentlichem Raum. Sowohl Favelabewohner als auch Polizisten sind bei den Auseinandersetzungen der letzten Tage und Wochen ums Leben gekommen. Auch als Reaktion auf den Mord an einer 28-jährigen Polizistin führt die Polizei gerade verstärkt Razzien durch, die die Gewalt verstärkt eskalieren lässt.

Sechs Menschen wurden bei Razzien in Favelas erschossen, bei einer Operation in der Favela Morro do Juramento wurden vier weitere der Polizei zufolge leicht verletzt. In der Favela Morro do Juramento war das Auto entdeckt worden, aus dem die tödlichen Schüsse auf die Polizistin abgefeuert worden waren. Favelabewohner regen sich in den sozialen Netzwerken darüber auf, dass die Medien Erschießungen von mutmaßlichen Drogendealern hinnehmen würden – und oft erst geschossen, dann nachgeforscht werde, ob der Favelabewohner tatsächlich zur Gang gehörte.

In Rio wurde außerdem ein Jugendlicher zusammengeschlagen – wohl ein Akt der Selbstjustiz. Die Täter hatten den Jugendlichen nackt an ein Verkehrsschild gekettet, wo er gefunden wurde. Angeblich gehörte der Junge zu einer Gruppe, die für Diebstähle bekannt sind.

Außerdem ist in elf Bundesstaaten Brasiliens der Strom ausgefallen – mindestens 40 Minuten mussten die Brasilianer warten, bis sich die Lage wieder normalisierte. Willkommen im Land der WM.

Mord an Rebeca: Verdächtiger festgenommen

Ein bisschen Erleichterung in der Rocinha: Ein junger Mann wurde festgenommen, der die neunjährige Rebeca am vergangenen Samstag brutal vergewaltigt und ermordet haben soll.

 

Es geschah fast zu schnell, um wahr zu sein: Gestern verkündete die Polizei die Festnahme eines Verdächtigen im Mordfall Rebeca. Die Neunjährige aus der Favela Rocinha wurde Samstagnacht von einer Feier entführt, vergewaltigt und ermordet. Seit die Leiche der Kleinen Sonntagfrüh gefunden wurde, fordern Favelabewohner die Aufklärung des Falles.

Auch gestern Nachmittag kamen Bewohner in der Rocinha, darunter die Eltern des Mädchens, zu einer Protestaktion zusammen – als sie die Nachricht erreichte, dass der mutmaßliche Täter festgenommen wurde, jubelten die Protestierenden. Rebecas Mutter sagte, die Nachricht sei eine Erleichterung für sie, weil es zumindest Gerechtigkeit bedeute.

Bei dem Tatverdächtigen handelt es sich der Polizei zufolge um einen 22-Jährigen, der in der Favela Rio das Pedras, in Jacarepaguá im Westen Rios, festgenommen wurde. Er soll bereits aufgrund einer Vergewaltigung in der Vergangenheit straffällig geworden sein, zudem soll er das Handy der ermordeten Rebeca bei sich gehabt haben. Der Polizei zufolge hat er die Tat gestanden. Continue reading

Rocinha trauert: Neunjähriges Mädchen ermordet

In der Rocinha wurde Samstagnacht ein Mädchen von einer Feier entführt und ermordet – die Community ist geschockt.

 

Das Foto von der Beerdigung teilen Favelabewohner in den sozialen Netzwerken: Der Körper mit weißen Blumen bedeckt, ein schmales Gesicht, an Schläfe und um den Mund Spuren der Gewalt – viele Kommentatoren aus der Favela wünschen dem Täter die Todesstrafe, oder dass ihm die Hand abgehackt werde, mindestens.

Samstagnacht wurde die neunjährige Rebeca Miranda Carvalho dos Santos aus der Rocinha gegen 21 Uhr von einer Feier entführt, in einer kleinen Gasse vergewaltigt und erwürgt, die Leiche mit Ziegeln abgedeckt. Eine grausame Tat – Favelabewohner sagen, dass so etwas in der Rocinha noch nie zuvor geschehen sei.

Die Mutter des Mädchens hatte erst vermutet, dass der Täter nicht aus der Favela stammt – da niemand den Mann erkannt habe, der das Mädchen entführte. Zudem würden seit der Befriedung der Favela und der Installation der Befriedungspolizei (UPP) viele Fremde durch die Favela laufen.  Continue reading

Der öffentliche Tod von MC Daleste

Favela-Funkeiros leben gefährlich – mit ihren Tracks können sie ins Visier von Drogenbanden oder Militärpolizei geraten. Am vergangenen Samstag wurde der erst 20-jährige MC Daleste bei einem Konzert erschossen.

 

Scheppernde Baile Funk Beats dröhnen, MC Daleste brüllt portugiesische HipHop-Reime ins Mikrofon, auf einmal sackt er in sich zusammen, von zwei Schüssen getroffen, die Fans schreien, Chaos bricht aus.

Am vergangenen Samstag wurde der erst 20-jährige Funkeiro bei einem Konzert in Campinas, São Paulo, erschossen und starb wenige Stunden später im Krankenhaus an den Verletzungen.

Digitale Erinnerung: Auf MC Dalestes offiziellem Fan-Facebook-Account posten Freunde Fotos von MC_Daleste (Screenshot)

Digitales Trauern: Auf MC Dalestes offiziellem Facebook-Account posten Freunde und Fans Fotos von ihm und seiner Beerdigung (Screenshot)

Es war ein öffentlicher Tod: Etwa 1000 Zuschauer waren bei dem Konzert anwesend, sie reckten die Hände in die Höhe, filmten mit dem Mobiltelefon mit – auch den Mord an dem Rapper. Das Kriminalistische Institut (IC) in São Paulo wertet aktuell Handyvideos von Augenzeugen aus, um Hinweise auf die Mörder zu finden. Continue reading