FIFA Korruptionsskandal: Ermittlungen in Brasilien

Die korrupten Geschäftspraktiken der FIFA und lokale Verstrickungen werden nun auch in Brasilien untersucht. Die Bundespolizei hat die Eröffnung von Ermittlungen angekündigt, die Unregelmäßigkeiten bei der Vergabe der Übertragungsrechte der WM 2014 und der brasilianischen Meisterschaft “Copa do Brasil”, aber auch Korruption bei Sponsoringverträgen untersuchen sollen.

Tag des Anpfiffs (Foto: BuzzingCities)

Black Box Fußball: Auch die Beteiligung von Brasilianern am FIFA-Korruptionsskandal wird jetzt untersucht (Foto: BuzzingCities)

Der ehemalige Präsident des Brasilianischen Fußballverbandes, José Maria Marin, ist einer der sieben hochrangigen FIFA-Funktionäre, die am vergangenen Mittwoch im Kontext des FIFA-Korruptionsskandals vom FBI in der Schweiz verhaftet worden sind. Der brasilianische Fußballverband CBF hat Marin sofort von allen Ämtern entbunden und seinen Namen vom Hauptquartier in Rio de Janeiro entfernt. Ein symbolischer Akt, der aber nicht ausreichen wird – denn der Verband steht in Brasilien selbst im Fokus der Kritik.

Black Box Fußball

Der Ex-Fußballspieler Romário, heute Senator in Rio, treibt die Einrichtung einer Parlamentarischen Untersuchungskommission voran, die gegen den CBF und das lokale FIFA-Organisationskommitee der WM 2014 ermitteln soll. “Das ist jetzt die Zeit, in der wir Fußball moralisieren können und wir dürfen diese Gelegenheit nicht verpassen”, so Romário. “Wir hoffen, dass wir die Black Box, die innerhalb des CBF existiert, enthüllen können.”

Zahlreiche brasilianische Sportvertreter und Unternehmer dürften an den im Fußball-Kosmos endemischen Korruptionspraktiken beteiligt sein. Bisher bekannt: José Margulies, Besitzer einer Firma, die Übertragungsrechte von Sportevents vertreibt. Auch José Hawilla, Geschäftsführer der Traffic Group, hat den US-Behörden gegenüber bereits Erpressung, Geldwäsche und Rechtsbehinderung zugegeben und zahlt für seine Beteiligung an dem Korruptionsskandal eine Strafe von 151 Millionen Dollar.

Auch die Rolle von Klefer Sports Marketing in Rio de Janeiro, das die Vermarktungsrechte für den brasilianischen Cup zusamnen mit Traffic eingekauft hatte, wird untersucht. Das Unternehmen hat seine Unterlagen den Behörden zur Verfügung gestellt. Die Korruption des Weltfußballverbandes FIFA wurde bei den brasilianischen Protesten immer wieder kritisiert – während Millionen in das intransparente Geschäft fließen, fehlen in Brasilien Investitionen in Bildung, Krankenhäuser und die Sanierung der Favelas.

FINALEEEE #gerarg

Zapp. Und schon ist der Tag des Finales gekommen. Unser Video von der zweiten Brasilien-Niederlage gestern hängt noch in der Upload-Schleife, weil wir in unserem Favela-Haus gerade kein Internet haben und das Netz im Café auch besser sein könnte. Wir reisen jetzt los Richtung Maracanã. Live on Twitter: @buzzingcities

Tag des Anpfiffs (Foto: BuzzingCities)

Tag des Abpfiffs (Foto: BuzzingCities)

Neymar als Vorbild

Juliana: Neymar als Vorbild (Foto: BuzzingCities)

Juliana Leite, 14: Neymar als Vorbild (Foto: BuzzingCities)

Juliana Leites goldene Fußballschuhe sind von Neymar – zumindest entworfen hat er sie. An der Seite hat sie ihren Namen aufsticken lassen: „Juju Leite“. Auch sie will „Crack“ werden wie Neymar, Fußballstar – ein Traum, der in den Favelas von Rio meist noch Männersache ist.

Eben hat die 14-Jährige mit ihrem Fußballteam aus der Favela Rocinha den zweiten Platz abgeräumt, beim Turnier des Frauen-Fußball-Festivals „Discover Football“. Frauen gegen Frauen, aus vier Favelas. Das Spielfeld in der Favela Rocinha, in der auch Juliana wohnt, ist nur über Schleichwege zu erreichen, thront auf einer Anhöhe zwischen den eng aufeinandergestapelten Ziegelhütten der Favela. Den Siegerpokal nimmt das Team aus Cidade de Deus mit nach Hause. „Ein paar Spielerinnen haben rumgefoult und es war auch nicht so einfach auf dem Rasen zu spielen, weil er vom Regen noch so feucht war“, sagt Juliana. „Aber das Spiel war super.“

Als das Turnier ein bisschen länger dauert als geplant, die Mädchen noch ein paar Selfies auf dem Rasen knipsen und sich für Teamfotos aufstellen, fluchen die Männer auf den Bänken, regen sich auf – sie wollen selbst spielen. Für Mädchen und Frauen ist es immer noch schwierig, sich das Spielfeld zu erobern, sie kämpfen gegen viele Vorurteile und Barrieren. Die deutsche Intitiative „Discover Football“ unterstützt Mädchen und Frauen weltweit dabei, sich zu vernetzen, veranstaltet Expertinnenforen, Trainings und Turniere.

Discover_Cidade

Selfie nach dem Spiel - mit Pokal (Foto: BuzzingCities)

Selfie nach dem Spiel – mit Pokal (Foto: BuzzingCities)

Auch Juliana findet, dass es als Mädchen schwieriger sei, sich als Fußballerin durchzusetzen – unmöglich aber nicht. Sie spielt schon jetzt professionell Fußball in einem Jugendteam in Rio, fährt auch zu Auswärtsspielen. Und sie besucht eine Sportschule, pendelt jeden Tag mit dem Bus von der Rocinha nach Santa Theresa ins Zentrum der Stadt. Ihre Familie unterstützt sie, zusammen fiebern sie bei den WM-Spielen zuhause mit.

Die Leistung der brasilianischen Nationalmannschaft analysiert Juliana kühl: Sie sei nicht traurig gewesen, als die Brasilianer verloren haben – sie habe sowieso gewusst, dass Brasilien rausfliegt. „Die Brasilianer waren nicht auf das Spiel vorbereitet, haben kein gutes Team“, so Juliana. „Es ist ein Offensivteam – sie kümmern sich um die Attacken, aber sie achten nicht auf die Verteidigung, das ist das Problem.” Dass Brasilien 2014 das Land der WM ist, findet sie trotzdem “cool”.

 

Im Einkaufszentrum über “El Pibe” stolpern

Das Markenzeichen funktioniert immer noch: die gelblichen Afro-Haare, eine Art Topfschnitt, der die Haare wie eine Perücke aussehen lässt, Schnauzer. Wir erkennen “El Pibe”, den kolumbianischen Ex-Weltklassekicker Carlos Alberto Valderrama Palacio sofort. Er schlendert mit seiner Familie durch das Einkaufszentrum, in dem wir versuchen, unsere SIM-Karte freischalten zu lassen.

“El Pibe” erlebte den von Pablo Escobar gesponsorten Aufstieg – und Fall – der kolumbianischen Nationalmannschaft, als Kapitän war er bei der WM 1990, 1994 und 1998 für Kolumbien am Start. Pelé wählte ihn 2004 als einzigen Kolumbianer in die Liste der Top-Fußballer “FIFA 100”.

 

 

Ironie gegen das Trauerspiel

Am Anfang stimmten die brasilianischen Fans sich mit lauten Fanliedern auf das Spiel ein – dann nur noch Entsetzen, Enttäuschung, heulende Fans und Fassungslosigkeit, auf allen Seiten.

Die deutsch-brasilianische Begegnung war ein surreales Geschehen, es sah fast so aus, als hätte jemand den Bildschirm gehackt. Parallel zum Torgewitter liefen dazu auf Twitter noch Meldungen von Freunden aus Tel Aviv ein, die gerade beim WM-Public Viewing am Strand sitzen und gleichzeitig Raketen hören.

Brasilien, das Land des Fußballs, besiegt mit 7:1. Eine üble Niederlage. “Alemanazo” nennen die Brasilianer die Katastrophe ihrer Seleção jetzt – in Anlehnung an das letzte Fußballtrauma “Maracanaço” von 1950, als Brasilien bei der WM im Maracanã-Stadion in Rio unerwartet gegen Uruguay verlor.

Alemão, “Deutscher”, ist in den Favelas seit Jahrzehnten ein Slang-Ausdruck für “Feind” – mal sehen, ob der Ausdruck jetzt auch bei Fußball-Fans in Mode kommt. Ob wir uns als Deutsche in Rio de Janeiro überhaupt noch auf Straße trauen können, wollen viele wissen? Können wir.

Denn Brasilien nimmt die Niederlage relativ entspannt, Brasilianer kontern mit Witzen, die oft gegen ihre eigene Mannschaft und den Trainer zielen. Das deutsche Torgeballer ist längst zum kulturellen Meme geworden. Eine Freundin aus der Favela regt sich auf Facebook über ihre Internetverbindung auf: “Das Internet ist so langsam, dass jede Aktualisierung 15 Toren von Deutschland entspricht.”

Proteste und Gewaltausbrüche, die einige Fußball-Experten hervorgesagt hatten, blieben aus. Beim Fanfest an der Copacabana soll es zu einem Handgemenge gekommen sein, doch laut denen, die dabei waren, handelte es sich nur um einen kurzen Zwischenfall. Einige Brasilianer verließen das Fanfest noch während das Spiel lief – andere tanzten dagegen auch nach der Niederlage an der Copacabana herum, wie Augenzeugen berichten.

Das Spiel hinterlässt vielleicht enttäuschte Fans, aber kein Land in Trümmern, vielleicht auch, weil die WM in Brasilien schon vor Anpfiff irgendwie entzaubert war, die Euphorie nicht das ganze Land erfasst hat und selbst Fußballfans eine kritische Einstellung zum kostenintensiven und korrupten Mega-Spektakel hatten. Die Brasilianer sind längst aufgewacht. Noch drehen sich Gespräche in Bars und an den Bushaltestellen um Fußball, das verlorene Spiel – aber der Alltag geht weiter. In der Rocinha kämpfen die Favelabewohner gerade mit dem Regen, der Wege, Balkone, Häuser überschwemmt.

Manche drücken für das Finale am Sonntag sogar Deutschland die Daumen – weil Argentinien nicht gerade ihr Lieblingsland ist.

 

Die Ghana-Lobby

9:2, eindeutig. In der Favela-Bar, in der wir uns heute das Spiel angesehen haben, standen alle Gäste auf Ghanas Seite. Das ist gut so – aber überraschend. Ein Bekannter hatte sich beim Public-Viewing an der Copacabana vor kurzem gewundert, warum die Brasilianer kaum für afrikanische Mannschaften klatschen – obwohl Brasilien ein Land mit einem hohen Anteil schwarzer Bevölkerung und afro-brasilianischer Kultur ist.

Deutschland gegen Ghana: die Rocinha auf der Seite der afrikanischen Mannschaft

Deutschland gegen Ghana: die Rocinha auf der Seite der afrikanischen Mannschaft

Brasilien ist entgegen den Klischees von der harmonischen Mischung der Farben ein ziemlich rassistisches Land. Rassismus existiert auch in den Favelas – innerhalb der Rocinha sehen die (weißen) Einwanderer aus dem Nordosten Brasiliens oft auf die schwarzen Favelabewohner herab.

Afros werden geglättet, Beinhäarchen blondiert, Schönheitsidole sind die blonden Frauen aus der Vorabendserie, die nur ein Ausschnitt Brasiliens sind. Mit der jungen Favelageneration ändert sich das langsam – in manchen Favelas sind Afro-Frisuren der neue Trend, die Jugendlichen entdecken und interpretieren ihre Wurzeln neu.

Da Ghana ein schnelles und gutes Spiel abgeliefert hat: viel Jubel in der Bar. Als Jogi die alte Wunderwaffe Schweinsteiger (Kommentator: “Schweinsteiger sabe tudo”, “Schweinsteiger weiß alles/hat es drauf”) dann einwechselte: betrübte Mienen.

Am Ende hatte dann doch noch einer der Zuschauer Mitleid mit uns, wechselte die Seite und feuerte plötzlich Deutschland laut an. “Unglücklicherweise hat Deutschland nicht gewonnen”, bedauerte er nach Spielende. “Für Euch hätte ich mir gewünscht, dass Deutschland gewinnt.” Wir finden, dass heute alle gewonnen haben.

Jogi in der Favela

Deutschland gewinnt 4:0 – und kaum jemand sieht zu. Zumindest in der Favela Rocinha. Ein Streifzug durch die größte Favela von Rio am Tag des WM-Deutschlandspiels.

Vielleicht lag es auch an der ungünstigen Zeit, aber das Spiel Deutschland gegen Portugal hat in der Favela fast heute niemand interessiert – außer uns. Im Favela-Restaurant lief das Spiel als Hintergrundgeräusch beim Essen, und sogar in der Rua Um, einer kleinen, lebendigen Gasse, in denen die meisten Bars normalerweise schon ab mittags brummen, war alles ruhig.
Während auf dem Bildschirm das ganz große WM-Drama ablief – verletzte Spieler, Fouls, Tore, Elfmeter, selbst Wunderwaffe Cristiano Ronaldo versagte in Serie, eindeutiger Sieg für Deutschland – putzten die Besitzer der Bar, in der wir die einzigen Gäste waren, erstmal durch.

Die beiden haben das Spiel dann eher mit uns angesehen, als umgekehrt – weil sie es spannend fanden, dass zwei Deutsche hier in ihrer Bar sitzen, die auch noch in der Favela wohnen. Morgen, beim Spiel Brasilien gegen Mexiko werde es voller sein, versicherten sie. Wir sollten doch vorbeikommen.

Danach: Polit-Debatte an der Bar – und auch die Barfrau kennt die innere Zerrissenheit, der wir hier immer wieder begegnen. Einerseits: Die WM schafft neue Probleme und kostet zuviel Geld, das etwa in der Rocinha besser investiert wäre. Andererseits: Fußball eben. Natürlich feuert sie die brasilianische Mannschaft an – sie sei ja Brasilianerin.