Die Ghana-Lobby

9:2, eindeutig. In der Favela-Bar, in der wir uns heute das Spiel angesehen haben, standen alle Gäste auf Ghanas Seite. Das ist gut so – aber überraschend. Ein Bekannter hatte sich beim Public-Viewing an der Copacabana vor kurzem gewundert, warum die Brasilianer kaum für afrikanische Mannschaften klatschen – obwohl Brasilien ein Land mit einem hohen Anteil schwarzer Bevölkerung und afro-brasilianischer Kultur ist.

Deutschland gegen Ghana: die Rocinha auf der Seite der afrikanischen Mannschaft

Deutschland gegen Ghana: die Rocinha auf der Seite der afrikanischen Mannschaft

Brasilien ist entgegen den Klischees von der harmonischen Mischung der Farben ein ziemlich rassistisches Land. Rassismus existiert auch in den Favelas – innerhalb der Rocinha sehen die (weißen) Einwanderer aus dem Nordosten Brasiliens oft auf die schwarzen Favelabewohner herab.

Afros werden geglättet, Beinhäarchen blondiert, Schönheitsidole sind die blonden Frauen aus der Vorabendserie, die nur ein Ausschnitt Brasiliens sind. Mit der jungen Favelageneration ändert sich das langsam – in manchen Favelas sind Afro-Frisuren der neue Trend, die Jugendlichen entdecken und interpretieren ihre Wurzeln neu.

Da Ghana ein schnelles und gutes Spiel abgeliefert hat: viel Jubel in der Bar. Als Jogi die alte Wunderwaffe Schweinsteiger (Kommentator: “Schweinsteiger sabe tudo”, “Schweinsteiger weiß alles/hat es drauf”) dann einwechselte: betrübte Mienen.

Am Ende hatte dann doch noch einer der Zuschauer Mitleid mit uns, wechselte die Seite und feuerte plötzlich Deutschland laut an. “Unglücklicherweise hat Deutschland nicht gewonnen”, bedauerte er nach Spielende. “Für Euch hätte ich mir gewünscht, dass Deutschland gewinnt.” Wir finden, dass heute alle gewonnen haben.

Jogi in der Favela

Deutschland gewinnt 4:0 – und kaum jemand sieht zu. Zumindest in der Favela Rocinha. Ein Streifzug durch die größte Favela von Rio am Tag des WM-Deutschlandspiels.

Vielleicht lag es auch an der ungünstigen Zeit, aber das Spiel Deutschland gegen Portugal hat in der Favela fast heute niemand interessiert – außer uns. Im Favela-Restaurant lief das Spiel als Hintergrundgeräusch beim Essen, und sogar in der Rua Um, einer kleinen, lebendigen Gasse, in denen die meisten Bars normalerweise schon ab mittags brummen, war alles ruhig.
Während auf dem Bildschirm das ganz große WM-Drama ablief – verletzte Spieler, Fouls, Tore, Elfmeter, selbst Wunderwaffe Cristiano Ronaldo versagte in Serie, eindeutiger Sieg für Deutschland – putzten die Besitzer der Bar, in der wir die einzigen Gäste waren, erstmal durch.

Die beiden haben das Spiel dann eher mit uns angesehen, als umgekehrt – weil sie es spannend fanden, dass zwei Deutsche hier in ihrer Bar sitzen, die auch noch in der Favela wohnen. Morgen, beim Spiel Brasilien gegen Mexiko werde es voller sein, versicherten sie. Wir sollten doch vorbeikommen.

Danach: Polit-Debatte an der Bar – und auch die Barfrau kennt die innere Zerrissenheit, der wir hier immer wieder begegnen. Einerseits: Die WM schafft neue Probleme und kostet zuviel Geld, das etwa in der Rocinha besser investiert wäre. Andererseits: Fußball eben. Natürlich feuert sie die brasilianische Mannschaft an – sie sei ja Brasilianerin.