Die Geeks der Favela

Improvisierte Stromnetze werden zu surrealen Labyrinthen quer durch die Favela zusammengebunden, Plastikmüll zu Betten recycelt, Tech-Gadgets in den kleinen Werkstätten der Favelas immer wieder fit gemacht: Favelas sind ein natürlicher Maker-Space.

 Mit dem Event „Gambiarra Favela Tech“ sollte der Erfindungsreichtum kanalisiert werden: Jugendliche aus der Favela konnten sich mit einem Video ihrer aktuellen Erfindung für den zehntägigen Workshop Ende Juli im Complexo da Maré im Norden von Rio de Janeiro bewerben.

„Eine Mischung aus wissenschaftlichem Labor, Werkstatt und Künstleratelier“, nennt der Projektleiter und Multimedia-Künstler Ricardo Palmieri das Projekt. Die Idee: Denn Favela-Alltag mit guten Ideen und einfachen Mitteln, die sich überall finden, ein bisschen besser – oder schöner – machen.

Ein Dutzend junge Erfinder aus der Favela diskutierten, wie sich Müll in Produkte umwandeln lässt, lernten, zu programmieren, die Grundlagen von Elektronik und Medienkenntnisse für sich zu nutzen. „Viele waren als Idioten bezeichnet worden, weil sie sich für ihre Werke aus dem Müll bedient hatten“, so Palmieri. Einen künstlerischen Wert hätten sie ihren Erfindungen bisher nicht beigemessen. Der Workshop habe viele bestärkt – auch, weil sie sich mit anderen Bastlern austauschen konnten.

Das Gesicht der Zukunft stirbt an einer Überdosis

Er war der Junge, der wie kein anderes Kind für die Veränderungen der Favelas stehen sollte – nun starb er an einer Überdosis und wurde zum tragischen Symbol des Auf-und Abstiegs der Favelas.

Der 15-jährige Christiano T. wurde vergangene Woche bewusstlos aufgefunden, und starb wenig später. Noch vor sieben Jahren wurde der Junge, damals acht Jahre alt, zum Star der Favela Manguinhos in Rio de Janeiro.

Umgeben von hochrangigen Politikern: Der junge Christiano T. im gerade gebauten Schwimmbad (Screenshot: extra)

Umgeben von hochrangigen Politikern: Der junge Christiano T. im gerade gebauten Schwimmbad (Screenshot: Extra)

In Badehose und Badekappe wurde er vom damaligen Präsidenten Lula vor einem Schwimmbad umarmt, umgeben von Politprominenz wie dem Gouverneur von Rio de Janeiro, Sergio Cabral, und Lulas Nachfolgerin Dilma Rousseff. Lula hatte zuvor ein Foto gesehen, auf dem sich der kleine Christiano in einem Wasserloch im lehmigen Boden seiner Favela suhlte.

Präsident Lula da Silva genoss damals große Anerkennung in den Armenvierteln – er zeigte sich gern volksnah und hatte Verständnis für die Sorgen der bedürftigen Bevölkerung. In der Favela Manguinhos ließ er ein Schwimmbad bauen, um die Favela aufzuwerten, die Armut zu reduzieren und dem kleinen Christiano und damit stellvertretend vielen anderen brasilianschen Kindern eine würdige Zukunft zu ermöglichen.

Werbegesicht für Veränderung

Christiano erschien auf dem Titelblatt aller Zeitungen, wurde zum Werbefoto für die PAC, die Infrastrukturprogramme der brasilianischen Regierung. Seine Mutter bekam einen Job, die Familie zog in eines der Häuser, die durch die Sozialprogramme gebaut wurden. Noch heute klebt ein überdimensionales Foto von ihm an der Wand der Krankenstation in der Favela Manguinhos in Rio. Christiano starb in der Einrichtung, in der er als Werbegesicht für die Zukunft diente. Continue reading

re:publica 2015: City of the Future

Die re:publica ist den letzten Jahren zu einer der größten Digitalkonferenzen Europas herangewachsen, auch der Anteil der außer-europäischen Speaker, Gäste und Themen ist gestiegen. Perspektiven auf Digitalisierung, Tech-Business, Überwachung, aber auch Aspekte wie Stadtentwicklung sind endlich globaler geworden als zu Beginn der deutschen Digitalisierung, in der die re:publica noch das Klassentreffen der deutschen Blogger und Tech-Experten war.

Bei der re:publica 2015 vom 5. bis zum 7. Mai in Berlin haben internationale Netzaktivisten aktuelle Trends diskutiert, Bloggerinnen aus verschiedenen afrikanischen Ländern von ihren Erfahrungen erzählt, im Maker-Space haben sich Bastler aus Lateinamerika und Afrika ausgetauscht und Experten wie der Architekt Alfredo Brillembourg haben etwa in ihren Talks vermittelt, wie informelle Siedlungen und Communities sinnvoller in architektonische Planungen miteinbezogen werden können.

Wir haben bei der Subkonferenz “City of the Future” über die Situation in Rios Favelas nach der WM und vor Olympia und die Digitalisierung der Favelas gesprochen – und wie Social Media Gewalt sichtbarer macht, aber auch mehr Sicherheit gewährleisten kann.

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Vortrag bei der rp15

Vortrag bei der rp15

Die Favela filmt zurück (Screenshot rp15-Talk)

Die Favela filmt zurück (Screenshot rp15-Talk)

Spannend waren auch einige auf der Subkonferenz diskutierte Parallelen zu deutschen Hochhaussiedlungen wie dem Ihme-Zentrum in Hannover, die wie die Favelas mit ihrem schlechten Ruf kämpfen und gleichzeitig Labore für urbanen Wandel sind – und auch die Diskussionen, wie sich Erkennnisse aus Rios Favelas etwa auf politische Partizipation in Deutschland übertragen lassen könnten.

Post in der Favela Rocinha II: “Internationales haben wir hier selten”

Trotz Email, Instagram und Facebook möchte man manchmal gute alte Postkarten verschicken. Man kann die Dauer ihres Weges nicht abschätzen, nicht mal wissen, ob sie überhaupt ankommen, wenn sie in Rio aufgegeben werden. Aber es war das Ziel, mehr als ein Dutzend Karten aus der Favela Rocinha abzuschicken, an Freunde des Crowdfundingprojekts.

Post the old way: Karten aus der Favela Rocinha (credits:J.Jaroschewski/BuzzingCities)

Post the old way: Karten aus der Favela Rocinha (Foto: J.Jaroschewski/BuzzingCities)

Ja, es gibt sogar ein Postamt mitten in der Rocinha. Kein richtiges Amt, aber einen Raum, in dem zwischen Kisten mit Briefen und Päckchen und zwei Schaltern immer eine Postangestellte sitzt. Die alles macht: Karten annehmen, die Zahlungen für Stromrechnungen einiger Bewohner administrieren, Päckchen aushändigen.

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Nicht selten bildet sich eine kleine Schlange, die sich bis nach draußen vor die Tür drängelt. Mein erster Versuch für den “Großversand” scheiterte an der Mittagspause. Ich war ausgerechnet in der Zeit zwischen 12 und 14 Uhr gekommen. Die Öffnungszeiten des Favelapostamtes: 10 bis 12 Uhr und 14 bis 17 Uhr.

Versuch II: Weniger Karten

Beim zweiten Versuch war die Schlange lang, und als ich an der Reihe war, warnte ich den Mann hinter mir, dass es etwas länger dauern könnte. “Kein Problem”, sagte der. Brasilianer sind es gewohnt zu warten: Im Vergleich dazu, wie oft und lange ich schon in brasilianischen Postämtern angestanden habe, war das Favela-Erlebnis eigentlich harmlos.

Post the old way: Karten aus der Favela Rocinha (credits:J.Jaroschewski/BuzzingCities)

Postamt Favela Rocinha (credits:J.Jaroschewski/BuzzingCities)

Post the old way: Karten aus der Favela Rocinha (credits:J.Jaroschewski/BuzzingCities)

Selbst gedruckte Karten aus der Favela Rocinha (credits: BuzzingCities)

Unsere Postkarten sind selbstgeschossene und in der Favela ausgedruckte Fotos. Das ist zum Glück kein Problem, da die Marken auch in Brasilien mittlerweile Sticker sind und auch auf Fotopapier haften. So begann die Postfrau, jede der Karten mit drei Marken zu bestücken und endete dann mit einer überraschten Miene bei Nr. 11, denn ihre Briefmarken waren aufgebraucht: “International haben wir hier eigentlich nicht oft”, sagte sie – also eigentlich gar nicht. Sie müsse dafür den Tresor öffnen, das würde aber 40 Minuten dauern.

“Den Tresor?” Continue reading

#Ostern in der Favela

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Auf Twitter, Facebook und per WhatsApp sammeln Favelabewohner Spenden für noch bedürftigere Bewohner ein: Nach den Überschwemmungen im vergangenen Jahr haben Freiwillige aus der Favela im Complexo do Alemão Lebensmittel, Möbel und Schlafplätze für betroffene Familien organisiert, jetzt zur Osterzeit sollen Kinder aus ärmeren Familien mit Schoko-Boxen und Schokoladeneiern beschenkt werden.

Im Complexo do Alemão sammeln Jugendliche aus der Favela seit 2011 Oster-Spenden ein. Bei der Aktion “Pazcoa no Alemão” kamen 2014 mehr als 6000 Geschenke zusammen. In diesem Jahr fürchten die Organisatoren, dass die ständigen Schießereien im Complexo die Verteilaktion stören oder unmöglich machen könnten. Auch in der Rocinha organisiert das Team von “Rocinha em Foco” inzwischen eine Osteraktion. Wir haben auch Schokolade eingekauft und sie mit dem Mototaxi bis hoch auf den Berg gefahren.

Abgegeben werden können die Schoko-Boxen auch in den Läden Loja Shark (Trav Oliveira n20), Loja Net Rocinha (Estr. Da Gávea n463) oder Loja Capemisa (Caminho do Boiadeiro, ao lado da Ortobom). Am kommenden Freitag verteilen das Team von “Rocinha em Foco” und Freiwillige die Schokoladen-Boxen dann an Kids aus der Rocinha.

Despite the ongoing shootout and violence, chocolate counts: If you`re currently in Rio de Janeiro go get some chocolate boxes for Favela Kids and donate it to Rocinha em Foco or A Voz da Comunidade – you can bring the boxes to Pickup points inside and outside the Favela.

PICKUP POINTS FOR ROCINHA`S KIDS (before Friday!!):

  • In Favela Rocinha: Loja Shark (Trav Oliveira n20), Loja Net Rocinha (Estr. Da Gávea n463) or Loja Capemisa (Caminho do Boiadeiro, ao lado da Ortobom)
  • Outside of the Favela: STUDIO TRAMITE, Rua J.J. Seabra, n14 / c4, Jardim Botânico – Rio de Janeiro, Open: Seg. a Sex. 7am-8pm

PICKUP POINTS FOR KIDS FROM COMPLEXO DO ALEMAO (before Friday!!):

  • Shopping Nova América – Espano Cliente (praça de alimentação 1• piso)
  • Redação Voz da Comunidade – Rua Além Paraíba, 785 – Higienópolis (Próximo ao supermercado Prezunic). Aos cuidados de Tiago Bastos ou Geisa Pires. Tel: (21) 3586-2383
  • Região Metropolitana – São Gonçalo, atrás do Boullevard Shopping, nº 150 – Aos cuidados de Roberta Meireles. Tel: (021) 98133-8753.

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Panzer für die Mini-Rekruten

Das Militär ist in den Favelasiedlungen des Complexo da Maré im Norden von Rio de Janeiro nicht gerade beliebt. Kurz vor der WM 2014 wurde das Maré vom Staat besetzt, schon damals zeichnete sich ab, dass das Gebiet eine der größten Herausforderungen unter den besetzen Favelas werden würde. Zahlreiche Auseinandersetzungen zwischen staatlichen Sicherheitskräften und Drogengangs gefährden immer wieder auch unbeteiligte Favelabewohner, mehrere Jugendliche wurden erschossen.

Mit Propagandamaterial versucht das Militär nun schon die jüngsten Favela-Kids positiver auf die Sicherheitskräfte einzustimmen – und den Grundstein für spätere Rekrutierungen zu legen. Wie die Community-Zeitung O Cidadão des Complexo da Maré berichtet, verteilen die Soldaten auf den Straßen des Maré Comic-Magazine für Kinder, “Recrutinha”.

In den Magazinen, die den in Brasilien populären “Monica”-Comics ähneln, erzählen Geschichten von den Abenteuern des Militärs. Auch ein Papier-Panzer zum Spielen ist beigelegt, zwischendrin Rekrutenwerbung. “Horror”, kommentiert eine Bewohnerin.

Foto: O Cidadão Comunicação Comunitaria

Panzer zum Spielen (Foto: O Cidadão Comunicação Comunitaria)

Favela Rocinha als App

Favela-News für unterwegs: Die Bewohner der Favela Rocinha können sich ab sofort mit einer App über das informieren, was in der Favela geschieht. Die App des Bürgermediums “Viva Rocinha” steht im Google Play Store zum Download bereit.

Das Nachrichtenportal “Viva Rocinha” wird von dem 21-jährigen Favelareporter Michel Silva betrieben, den wir für das E + Z Magazin über seine Arbeit als Bürgerreporter interviewt hatten.

News aus der Favela – Bürgerreporter Michel Silva (Foto: Michel Silva)

News aus der Favela – Bürgerreporter Michel Silva (Foto: Michel Silva)

 

Wir crowdfunden – Endspurt!!!!!

Wir wollen auch nach der Fußball-WM weiter recherchieren, was in den Favelas von Rio de Janeiro passiert. Dafür brauchen wir Eure Unterstützung.

Wir würden uns freuen, wenn Ihr Lust habt, uns bei der Crowdfunding-Plattform Startnext zu unterstützen, damit wir unsere Arbeit weiter verfolgen können – und das Material, das wir gesammelt haben, auch in eine Kurz-Doku zu verwandeln. Weitersagen, Twittern, Facebooken und Verteilen über sonstige Kanäle hilft natürlich auch.

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Was wir so tun und vorhaben, ein paar gute Gründe uns zu unterstützen und was mit dem Geld bei erfolgreichem Crowdfunding passieren soll, könnt Ihr bei Startnext nachlesen.

#FavelasOnline: BuzzingCities bei der Social Media Week

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Bei der Social Media Week Berlin haben wir darüber gesprochen, wie die Digitalisierung die Favelas und politische Partizipation und Protest verändert.

“Mit Social Media wie Facebook, Twitter und Blogs wird transparenter, was in den Favelas geschieht. Das Netz erleichtert Bewohnern die Verbreitung und den Zugang zu Informationen und die Mobilisierung, etwa zu Protesten. Auch die Besetzung von knapp 200 Favelas vor den Großereignissen WM und Olympia durch die Polizei wird kontrovers diskutiert – und Favelabewohner warnen sich in den sozialen Netzwerken vor Schießereien zwischen Drogengangs und Polizei, suchen nach Verschwundenen oder denunzieren Menschenrechtsverletzungen, Kriminalität oder riskante Baustellen und Löcher in den Straßen.

Die Veranstaltung soll vermitteln wie informelle Siedlungen wie Favelas mit sozialen Medien eine stärkere Präsenz im urbanen Raum und auch einen größeren Einfluss auf politische Entscheidungen erreichen können. Die Auslandsreporterinnen Julia Jaroschewski und Sonja Peteranderl haben für das Multimedia-Projekt BuzzingCities seit 2011 zahlreiche Interviews in den Favelas von Rio geführt. Sie leben und arbeiten immer wieder in der Favela Rocinha, der größten Favela von Rio, bloggen und twittern live aus der Favela und haben mit dem Favelawatchblog (@buzzingcities) auch das Geschehen in Rios Favelas vor und während der Fußball-WM verfolgt.”

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#FavelasOnline bei der Social Media Week Berlin

Social Media Week Berlin

Wie Social Media Politik, Medien, Wirtschaft, Wissenschaft, Städte, Kultur und irgendwie alles verändert wird die Social Media Week Berlin vom 22. bis 26. September 2014 ausloten. Die meisten Veranstaltungen sind kostenlos, für bestimmte Workshops und Veranstaltungen muss ein Ticket erworben werden. Wir werden auch dabei sein:

“Julia Jaroschewski and Sonja Peteranderl will focus on the digitalisation and changes in the slums of Rio de Janeiro. Although the attention of the mainstream media has waned post World Cup, Favela residents are using social networks to warn of shootings, search for lost friends and make human rights violations public.”

In Kürze mehr.