Ende der UPP: Zahl der Toten bei Auseinandersetzungen so hoch wie nie

Der schleichende Rückzug der UPP aus den Favelas in Rio de Janeiro geht einher mit einer steigenden Anzahl von Toten. Bei Einsätzen der sogenannten Befriedungspolizei sind im Jahr 2018 so viele Menschen erschossen worden wie nie zuvor seit ihrer Einführung im Jahr 2008, und das, obwohl die Truppen der UPP insgesamt reduziert wurden.

Rio 2016 UPP Rocinha

Laut dem Institut für öffentliche Sicherheit ISP in Rio ist im Durchschnitt jeden zweiten Tag eine Person bei einer Operation erschossen worden, ein Teil davon deklariert als “Selbstverteidigung” der Sicherheitskräfte. Die Zeitung extra geht von einer hohen Dunkelziffer nicht erfasster Morde aus, weil Personen, die bei Schießereien mit der Polizei verletzt wurden, und im Nachhinein durch die Verletzungen gestorben sind, oftmals nicht mitgezählt wurden.

Außerdem ist die Zahl der Toten durch Sicherheitskräfte in den Regionen, aus denen die UPP abgezogen wurde, angestiegen. Continue reading

Facebook-Post: Todesstrafe für Kritik an den Drogengangs

In den Favelas gilt das Gesetz des Schweigens. Eine Frau hat sich in sozialen Netzwerken über eine Drogengang beschwert – Mitglieder der Gang folterten und töteten sie daraufhin. Ihre Mörder wurden jetzt benannt.

Ende Februar 2018 hatte Helen Alves de Oliveira aus der Favela Cajú in Rio de Janeiro einen Facebook-Post geschrieben, am 5. März 2018 wurde sie ermordet. Ein Moto-Taxifahrer hatte ihre Aufenthaltsorte und Routen ausgespäht und sie an die Gangmitglieder verraten. Die Kriminellen entführten die Frau, folterten, erschlugen sie und zerstückelten die Leiche. Die Körperteile verbrannten und verscharrten sie.

“Wenn ein Kind, ein Jugendlicher, oder ein Erwachsener der Gewalt zum Opfer fällt, wenn er auf dem Heimweg von der Schule, von der Arbeit oder Kirche ist, oder zuhause arbeitet, bin ich die Erste, die schreit und das Verbrechen anprangert”, hatte sie zuvor auf Facebook geschrieben. “Aber wenn einer stirbt, weil er Drogen verkauft, mit Waffe und Funkgerät, dann ist es besser, nicht mit mir darüber zu sprechen. Es war vor allem, weil er einen Polizist einen Feigling genannt hat. Feigling warum? Wenn er nicht geschossen hätte, dann wäre er nicht gestorben und umgekehrt. Der Krieg ist zum Sterben da, Bruder.”

Offenbar zuviel der Beleidigung für die lokale Drogengang. Gegen sieben Männer, die die Favelabewohnerin ermordet haben und ihre Leiche verschwinden ließen, liegen nun Haftbefehle vor. Der Drahtzieher des Mordkommandos soll der lokale Drogenchef Luiz Alberto Santos de Moura alias “Bob do Caju” sein. Zur Tatzeit saß er im Gefängnis – seine Leute hatten den Facebook-Post gefunden, ihn ausgedruckt und ihm vorgelegt. Er ordnete den brutalen Vergeltungsschlag an.

Was klingt wie ein kaum vorstellbarer Mord für eine Lappalie, kommt in Rios Favelas immer wieder vor. Wer sich gegen die Drogengangs wendet, gilt als Verräter – ein tödliches Verbrechen. Ihre Racheakte verbreiten die Gangs dann, um andere Bewohner und ihre Rivalen abzuschrecken – auch in den sozialen Netzwerken.

Bob do Caju: Mordbefehl aus dem Gefängnis (Fahndungsfoto)

Bob do Caju: Mordbefehl aus dem Gefängnis (Fahndungsfoto)

#Marielle Protest: “Wir werden uns nicht zum Schweigen bringen lassen”

Vor sieben Monaten wurde die junge, schwarze Abgeordnete Marielle Franco ermordet. Sie kämpfte gegen Polizeigewalt und Milizen in Rios Favelas. Mehr als 1000 Menschen haben heute in Rio Straßenschilder mit ihrem Namen hochgehalten – und gegen die zunehmende Gewalt und Rassismus in Brasilien protestiert.

Der Mord an Marielle Franco ist immer noch nicht aufgeklärt, sieben Monate nach dem politischen Verbrechen, bei der die Politikerin und ihr Fahrer gezielt erschossen wurden.  Heute haben in Rio mehr als 1000 Menschen symbolische Straßenschilder zu Ehren Marielle Francos in die Höhe gehalten, ein Straßenschild wurde auch temporär auf ein anderes Straßenschild geklebt. Es war auch ein Widerstand gegen rechte Bolsonaro-Anhänger, die vor kurzem ein Straßenschild mit Marielle Franco`s Namen zerbrochen hatten.

Die Unterstützer und die Familie Marielle Francos fordern die Aufklärung des Mordfalls und der politischen Hintergründe  – und wenden sich gegen den zunehmenden Rassismus und Hass im Land. “Wir werden uns nicht zum Schweigen bringen lassen”, so die Mutter von Marielle Franco zu Favelawatch/BuzzingCities Lab – auch wenn es schmerze.

Marielles Mutter (Credit:JJ/BuzzingCities)

Protest Marielle Franco

MarielleFranco_1Protest Marielle Franco Protest Marielle Franco Frauen

Warum Wahl-Selfies den Milizen helfen

Fotos aus der Wahlkabine sind in Brasilien verboten – doch das kümmert Brasilianer kaum. Dass es kaum Kontrollen gibt, führt zur massenhaften Verbreitung von Wahl-Selfies in sozialen Netzwerken, hilft aber auch Kriminellen, die mit Stimmen handeln.

Celso Athayde, ein Unternehmer, der aus einer Favela in Rio kommt, hat seine Stimmabgabe bei den Präsidentschaftswahlen fotografiert: als Beweis, dass die Foto-Kontrolle bei der Wahl nicht durchgesetzt wird.

“Jeder kann seine Stimmabgabe fotografieren oder filmen. Es ist also offensichtlich, dass die Wahlfreiheit und die Demokratie gefährdet sind.”
(Celso Athayde auf Twitter)

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Das Problem: Milizen und andere kriminelle Gruppen versuchen in Brasilien die Abstimmungen zu beeinflussen und bedrohen in den Favelas Wähler oder entlohnen sie finanziell, damit diese für die Wunschkandidaten der kriminellen Organisationen abstimmen.

Die Fotos aus der Wahlkabine, die sie sich von den Wählern schicken lassen, dienen auch ihnen als Beweis, dass die Strohpuppen-Wähler nach Anweisung abgestimmt haben. Wahlgeheimnis und Wahlfreiheit werden so ausgehebelt.

Mord an Marielle Franco: Manipulierte Kameras, Polizisten als Mörder, deutsche Mordwaffe

Der Mordfall an der PSOL-Abgeordneten Marielle Franco enthüllt kriminelle Machenschaften innerhalb des Polizei-Apparats – und schmutzige Verbindungen zwischen Milizen und Politikern.

Ein Modell der MP5 von Heckler & Koch (Screenshot: H&K)

Ein Modell der MP5 von Heckler & Koch (Screenshot: H&K)

Es war eine deutsche Waffe, mit der Marielle Franco, Abgeordnete der sozialistischen Partei PSOL, am 14. März 2018 in Rio de Janeiro erschossen wurde: eine MP-5 der deutschen Rüstungsschmiede Heckler & Koch, die in Brasilien von den Spezialtruppen der Militärpolizei Bope und Batalhão de Choque, von Militärs sowie Polícia Civil und Polícia Federal eingesetzt werden. Vermutlich ist der Mörder ein Schütze, der von der Militärpolizei ausgebildet wurde. Waffen aus dem Arsenal der Sicherheitskräfte werden derzeit ballistisch untersucht. Aus Polizei-Beständen waren in den vergangenen Jahren auch mehrere MP-5 verschwunden.

Waffen von Heckler & Koch gelangen immer wieder in die Hände von korrupten Polizisten, aber auch Kriminellen. Heckler & Koch-Mitarbeiter stehen derzeit aufgrund des Mexiko-Exportskandals in Deutschland vor Gericht, da mehrere Tausend G36-Sturmgewehre in Konfliktregionen in Mexiko zum Einsatz kamen.

In Brasilien folgte auf den Mord an Marielle Franco und ihrem Fahrer Anderson Gomes, der das Land erschütterte, eine Serie von Skandalen: Bei den Ermittlungen wurde geschlampt, die Polizisten, die die Leichen untersuchten, fertigten nicht einmal ein Röntgenbild an. Das Attentat war professionell vorbereitet worden: Fünf Überwachungskameras, die von der Stadt betrieben werden, auf dem Weg zum Tatort waren manipuliert worden. Und viele Spuren deuten darauf hin, dass Politiker und Milizen Drahtzieher des Attentates sind. Ein Zeuge beschuldigt, dass ein anderer Abgeordneter und ein Ex-Polizist und Chef einer Miliz den Mord angeordnet haben. Sie sollen zwei Militärpolizisten beauftragt haben, Marielle Franco aus dem Weg zu räumen.

Franco, die selbst aus einer Favela des Complexo da Maré in Rio stammt, hat immer wieder Menschenrechtsverbrechen und Morde in Rios Favelas angeprangert, die durch Sicherheitskräfte und Milizen begangen werden. Sie hatte aber auch Verflechtungen zwischen Politikern und Milizen publik gemacht. Milizen, kriminelle Banden, die aus aktiven oder ehemaligen Sicherheitskräften bestehen, erpressen Schutzgelder, gehen kriminellen Geschäften wie Drogenhandel nach, begehen Morde und unterwandern zunehmend die brasilianische Politik.

 

 

Racial Profiling in Rio: Olympiasiegerin für Kriminelle gehalten

Als die Judo-Kämpferin Rafaela Silva bei den Olympischen Spielen für Brasilien Gold gewann, setzte sie auch ein Zeichen gegen den Rassismus in Brasilien. Doch selbst eine Goldmedaille hilft im Alltag nicht. 

Twitter Screenshot Rafaela Silva

Als junge, schwarze Frau, die aus der Cidade de Deus (City of God) in Rio de Janeiro kommt, einer der berüchtigten Favelas der Stadt, war Rafaela Silvas Sieg bei Olympia auch eine Goldmedaille für alle benachteiligten Bewohner der ungleichen Stadt. Sie wurde zum Symbol dafür, dass jemand, der kaum Chancen hatte, durch harte Arbeit den Aufstieg schafft.

Doch auch die Athletin ist im Alltag von Rassismus und Racial Profiling durch die Sicherheitskräfte betroffen – Polizisten behandelten sie wie eine Kriminelle und kontrollierten sie, als sie mit einem Taxi nach Hause fahren wollte. “Es geschah mitten auf der Avenida Brasil und alle sahen zu, und dachten, die Polizei hätte einen Banditen geschnappt, dabei war es nur ich, die nach Hause wollte”, schreibt sie auf Twitter, wo sie die Kontrolle ausführlich beschrieben hat.

Auch in der Cidade de Deus (City of God) selbst ist das Erbe von Olympia längst zerbröckelt – der Drogenkrieg tobt, die Siedlung wird vom Staat vernachlässigt und es sind vor allem Favelabewohner selbst, die nach Alternativen abseits der Gewalt suchen (Video).

 

Karneval in Rio 2018: Wie man sich bei Schießereien verhält

Nichts hält die Brasilianer vom Feiern ab, schon gar nicht vom Karneval – auch wenn das Land von einer Krise in die nächste rutscht, sich die Politskandale aneinander reihen und die Wahl eines neuen Präsidenten ansteht (bei der kein Kandidat ohne Vorstrafe zur Verfügung steht).

Doch der Karneval 2018 ist gerade in Rio de Janeiro ein besonderer: Erst auf den letzten Moment hatte Bürgermeister Crivella Geld von der Stadt für die Sambaschulen zugesagt. Viel dramatischer jedoch steht es um die Sicherheit. Kein Tag vergeht ohne Tote, Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Drogengangs, Überfälle und sonstige Gewalttaten.

"Gangster"-Auftritt beim Karneval: Fake-Waffen und Gang-Initialien (Foto: Rio de Nojeira)

“Gangster”-Auftritt beim Karneval: Fake-Waffen und Gang-Initialien (Foto: Rio de Nojeira)

Vor allem in den Favelas ist die Lage schwierig: Allein im Januar 2018 wurden so viele Menschen in Rios Favelas bei Polizeioperationen erschossen wie seit 10 Jahren nicht: 66 Menschen. Auch 50 Polizisten wurden im ersten Monat des Jahres angeschossen, 16 von ihnen starben an den Verletzungen.

Besonders von der Gewalt betroffen waren die Favelas Jacarezinho und die Rocinha, Rios größte Favela. Die Rocinha durchlebt seit September 2017 heftige Schießereien, mit wöchentlichen Spezialeinsätzen der Polizeitruppen, blutigen Schießereien der gegnerischen Drogengangs und vielen Toten. Tagelang müssen die Bewohner an vielen Orten ohne Strom und Wasser auskommen.

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In den vergangenen Wochen gab es auch immer häufiger Schießereien außerhalb der Favela. In der Tijuca ist nach einer Karnevalsparty neben einer Bar ein Angestellter durch einen Schuss getötet worden, zwei Frauen überlebten mit viel Glück in ihrem durchlöchertem Auto.

In einer Stadt, in der Überfälle und Schießereien Alltag sind, klären Tageszeitungen wie Extra mittlerweile ihre Leser auf, wie sie sich verhalten sollen, wenn sie ins Kreuzfeuer geraten.

Verhaltenstipps für Schießereien von der Tageszeitung

Phantasie-Steuer: Polizisten kassieren Mototaxi-Fahrer ab

Im Complexo do Alemão haben korrupte Polizisten eine Phantasie-Steuer von Mototaxi-Fahrern abkassiert – jetzt protestieren die Fahrer gegen den Machtmissbrauch.

Im Complexo do Alemão haben zwei Militärpolizisten der UPP Nova Brasília seit November von den Mototaxi-Fahrern eine “Maut-Gebühr” von 10 Reais, umgerechnet 2,50 Euro, wöchentlich von jedem Mototaxi-Fahrer kassiert. Wer sich weigerte, zu zahlen, wurde mit Bußgeldern belegt – die Polizisten drohten auch damit, dass sie bei zahlungsunwilligen Fahrern die Motorräder beschlagnahmen könnten.

Auch wenn die Summe vergleichsweise nicht nach einem großen Korruptionsskandal klingt, summieren sich die Einnahmen – und angesichts der geringen Verdienste der Fahrer, die pro Fahrt nur ein paar Reais verdienen, ist das dreiste Vorgehen der Polizisten ein harter Schlag für die Mototaxi-Fahrer. Etwa 100 Fahrer haben vor der UPP, der sogenannten Befriedungspolizei, gegen den Machtmissbrauch durch die beiden Polizisten protestiert und sie angezeigt.

Etwa 200 Mototaxi-Fahrer arbeiten im Alemão, einem riesigen Favela-Komplex in der Nordzone von Rio de Janeiro. Die Mototaxis sind eines der Haupt-Transportmittel der Favelabewohner – die riesige Gondelbahn, die vor den Sportereignissen in den Favelakomplex gebaut wurde, um die Bewohner schneller über die Hügel zu transportieren, ist nur noch eine Ruine.

Der Wirtschaftszweig der “Favela-Taxen” wird in den meisten Favelas ohnehin entweder vom Drogenhandel oder von Milizen kontrolliert, so dass korrupte Polizisten, die auf der Straße Geld fordern, zur zusätzlichen Belastung für die Fahrer werden. Dazu kommt auch das hohe Berufsrisiko durch die Schießereien hinzu, die im Alemão derzeit fast täglich stattfinden.

Nach dem Protest straften die korrupten Polizisten die Fahrer ab, die daran teilgenommen hatten – manche wurden danach gleich mehrfach mit Bußgeldern belegt. Wenn die Besetzungspolizei UPP das ohnehin zerstörte Vertrauen in Staat und Polizei aufbauen will, muss sie dringend in den eigenen Reihen aufräumen und Korruption und Machtmissbrauch scharf verurteilen und ahnden. 

Traumatisierte Stadt

Schießereien, Überfälle, Gewalt: Eine halbe Million Menschen leidet im Bundesstaat Rio de Janeiro an PTSD – die meisten Traumata bleiben unbehandelt.

Razzien, Schießereien zwischen Polizei und Gangs, Machtmissbrauch und Einschüchterung: In den Favelas von Rio de Janeiro zählt brutale Gewalt zum Alltag. Schießereien sind in manchen Siedlungen fast alltäglich, immer wieder treffen Querschläger auch Unbeteiligte – wie vor kurzem ein Baby im Mutterbauch. Die Schule fällt aus, weil die Sicherheit der Schüler während heftiger Schusswechel zwischen Polizei und Drogengangs nicht garantiert werden kann, sich die Kontrahenten mitunter sogar in Schulen oder in der Nähe von Schulen verschanzen.

Die vernachlässigten, ärmeren Teile sind extrem von der Gewalt betroffen – doch sicher sind auch die wohlhabenderen Stadtviertel nicht. Selbst in touristischeren Vierteln finden bewaffnete Raubüberfälle mit Messern oder Pistolen statt, Banden klauen Fahrräder und Autos, Kriminelle inszenieren sich bei Fake-Kontrollen als Polizisten. Im April 2017 stiegen die registrierten Überfälle in Rio de Janeiro dem Instituto de Segurança Pública (ISP) zufolge auf 12.089 Fälle an – ein Rekordhoch seit dem Jahr 2002.

Einer neuen Studie des Instituts für Psychatrie der UFRJ zufolge leiden im Bundesstaat von Rio de Janeiro mit seinen 16 Millionen Einwohnern mehr als eine halbe Million Menschen, 550.000, an einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTSD). In der Bundeshauptstadt Rio sind es etwa 214.000 Betroffene. 97,6 Prozent von ihnen wurden aber nicht durch Ärzte diagnostiziert – die Belastungsstörung bleibt meistens unerkannt, sie bleiben auf sich allein gestellt oder fallen aufgrund komorbider Krankheiten wie Depression oder Drogen- und Alkoholmissbrauch auf.

Gerade in den Favelas ist der Zugang zu Ärzten und Gesundheitsversorgung ohnehin schlecht, während die möglichen Folgen von Gewalt, wie gebrochene Bildungskarrieren und ein höheres Armutsrisiko sich ungleich extremer auswirken, weil sie nicht abgefedert werden. Psychologische Unterstützung erhalten die wenigsten Favelabewohner, obwohl oft schon Kinder drastischen Szenen ausgesetzt sind. Die gesellschaftlichen Kosten der Gewalt sind immens hoch – und wirken sich auf ganze Familien aus.

Baby im Mutterbauch angeschossen

Opfer noch vor der Geburt: In der Favela do Lixão Duque de Caxias wurde ein Baby im Mutterbauch von Kugeln getroffen. 

Die im neunten Monat schwangere Claudinéia dos Santos Melo war auf dem Weg zum Markt, als sie angeschossen wurde. Polizisten brachten sie ins Krankenhaus, das Baby wurde per Kaiserschnitt auf die Welt gebracht. Dabei stellten die Ärzte fest, dass zwei Kugeln die Plazenta durchschlagen und auch das ungeborene Kind verletzt hatten.

Die Lungen wurden von den Schüssen verletzt, das Kind erlitt auch Läsionen an Brustwirbeln und eine Lähmung der unteren Gliedmaßen, vermutlich wird es aber wieder die Beine bewegen und laufen können. Die Ärzte bezeichneten es als “Wunder”, dass das Kind gerettet werden konnte. Zustand von Mutter und Kind sind ernst, beide befinden sich noch im Krankenhaus, das Baby wird künstlich beatmet und ernährt.

Es ist ein Extremfall der alltäglichen Gewalt. Immer wieder werden Kinder zu Opfern im Drogenkrieg. Die 10-jährige Vanessa Vitória dos Santos wurde vor kurzem in Lins de Vasconcelo in der Nordzone von Rio mit einem Kopfschuss getötet.

Schusswechsel stören auch immer wieder den Unterricht. Erst vor kurzem fiel der Unterricht für 1500 Kinder in Rio aufgrund von Schießereien aus. Der Schulweg wird zum tödlichen Risiko, der gewaltbedingte Unterrichtsausfall beeinflusst langfristig die Leistungen der Kinder aus Favelas. Viele erleiden Traumata, die in den seltensten Fällen behandelt werden.

Nachtrag vom 30.Juli 2017:
Nach einer drastischen Verschlechterung des Gesundheitszustands ist das Baby in einem Krankenhaus in Rio am 30. Juli verstorben.