Polizei und Kriminelle als Komplizen: Mordkomplott gegen Polizeichefin

In Rios größter Favela Rocinha planten Drogengangster die Ermordung der Polizeichefin der Befriedungspolizei UPP. Polizisten halfen ihnen dabei. Der korrupte Polizeiapparat in Brasilien verhindert eine effektive Bekämpfung der Kriminalität.

Eine kleine Frau, dunkle Locken, sympathisches Lachen: Pricilla Azevedo sollte der Polizei wieder ein nettes Gesicht verleihen, das Versprechen der Befriedungspolizei UPP einlösen, eine Polizei der Nähe zu sein. Sie hatte Major Edson als Chef der Einheit ersetzt, einen ehemaligen Soldat der BOPE-Spezialeinheit. Er war mit weiteren Polizisten verhaftet worden: Sie hatten den Favelabewohner Amarildo festgenommen, zu Tode gefoltert, die Leiche verschwinden lassen – und das letzte Vertrauen in die UPP zerstört, auch weit über die Favela Rocinha hinaus.

Azevedo stand für einen sozialen Policing-Ansatz, der die Bevölkerung wieder mit der Polizei versöhnen sollte. Doch Drogengang und auch Kollegen von Azevedo sahen in der neuen Chefin vor allem einen Störfaktor für ihre Geschäfte.

Mehrere korrupte Polizisten, die mit dem Drogenboss Rogerio kooperierten, verrieten ihm ihre Arbeitsroutine – und legten ihm nahe, die Polizeichefin schnell zu töten – damit erneut ein Ex-Elitesoldat an ihre Stelle rücken könnte. „Er ist ein Freund von uns, und er liebt Geld“, schrieb ein Polizist an den Drogenboss – also ein guter Deal für alle Seiten. Im Februar 2014 wurde der Plan entdeckt, erst jetzt hat die Justiz den geplanten Mordanschlag öffentlich gemacht.

Azevedo wurde versetzt, sie ist heute Polizeisprecherin der Befriedungspolizei – zu dem geplanten Mordanschlag auf sie hat sich die Polizistin bisher nicht geäußert.

Live aus dem Complexo do Alemão

Im Complexo do Alemão kommt es immer wieder zu brutalen Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Drogengangs, heute wurde erneut eine Frau angeschossen, die an den Verletzungen gestorben ist.

Wir haben heute mal wieder aus dem Complexo gestreamt, sind mit dem Teleferico, der Seilbahn gefahren (die immer noch von vielen benutzt wird), und haben die Favelabewohnerin Mariluce über die Gewalt, ihre Meinung zu den Olympischen Spielen und Perspektivenwandel durch Favelakunst interviewt.

Olympia-Ticket: Nichts für die Favelas

Busse in der Rocinha: Immer überladen (Foto: BuzzingCities Lab)

Busse in der Rocinha: Immer überladen (Foto: BuzzingCities Lab)

Für Touristen, die nach Rio gekommen sind, um die Olympischen Spiele zu sehen, hatte die Stadt Rio eine spezielle Zeitkarte für den öffentlichen Transport geschaffen: die „Rio Card Olimpico“ für die unbegrenzte Nutzung aller Nahverkehrsmittel für ein, drei oder sieben Tage.

Eine eigentlich gute Erfindung, denn eine solche Karte fehlte bisher in Rio. Zwar gibt es das „Bilhete Unico”, eine Karte, die dem Besitzer zweimal am Tag das Umsteigen in einen zweiten Bus ermöglicht. Eine wirkliche Zeitkarte mit unbegrenzter Nutzung ist das aber nicht – zumal gerade in den Favelas der Großteil der Bevölkerung auf den öffentlichen Nahverkehr angewiesen ist und Fahrtwege von entlegeneren Favelas in die Stadt mitunter Stunden dauern, mit mehrmaligem Umsteigen.

Zu den öffentlichen Verkehrsmitteln zählen mittlerweile auch die in Favelas weit verbreiteten „Vans“, also Minibusse, die meist von privaten Kooperativen betrieben werden, aber inzwischen von der Stadt reguliert werden – und in denen heute auch das „Bilhete Unico“ gültig ist.

Auch in der Favela Rocinha transportieren Vans viele Passagiere durch die Favela – die normalen Stadtbusse fahren viel zu selten und sind völlig überfrachtet. Die teure Zeitkarte „Rio Card Olimpico“ gilt allerdings in den Vans der Rocinha nicht, wie wir heute feststellen mussten – obwohl die Busse eigentlich längst dem offiziellen Transportsystem der Stadt angehören. So werden Favelas bei der „Rio Card Olimpico“ wieder einmal ausgenommen.

Auch mit der neuen Metrolinie, die direkt an der Favela vorbeiführt, können Favelabewohner bisher noch nicht fahren – nur mit der „Rio Card Olimpico“ und einem Ticket für die Olympischen Spiele.

Gold für die Favelas: Judoka Rafaela Silva gewinnt für Brasilien

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Vom Armenviertel Cidade de Deus (City of God) zum Olympiagold: Die Judo-Kämpferin Rafaela Silva hat bei den Olympischen Spielen in Rio die erste Goldmedaille für Brasilien geholt. Mit fünf Jahren fing sie bei einem Kampfsportprojekt in der Cidade de Deus zu trainieren an, ihre Eltern wollten, dass sie Regeln lernt, statt sich auf der Straße und in der Schule mit Jungen zu raufen.

Auf einmal will jeder Favela sein: “Unsere Rafa” nennen sie TV-Moderatoren, die normalerweise keinen Fuß in eine Favela setzen würden. Und jeder will ein Selfie mit der Olympia-Siegerin haben — auch die, die sonst niemanden aus einer Favela im Freundeskreis haben wollen.

Livestream: Silva nach dem Kampf

2012 war Silva bei den Olympischen Spielen in London nach einem Tritt gegen das Bein ihrer Gegnerin disqualifiziert worden — danach erwartete sie ein rassistischer Shitstorm. “Ich war sehr traurig, weil ich den Kampf verloren habe”, sagte Silva in einem Interview mit CBC. “Ich ging in mein Zimmer und entdeckte all diese Beleidigungen auf Social Media. Sie haben mich kritisiert, mich Affe genannt, ich wurde richtig wütend und habe überlegt, mit Judo aufzuhören.”

Schwarz, Frau, Favela: Ein Sieg gegen Sexismus, Rassismus und Marginalisierung

Auch die Bewohner der unzähligen Favelas in Rio bejubeln Rafaela, weil die Judoka, eine schwarze Frau aus einer Favela, sich trotz zahlreicher Widerstände hochgekämpft hat. “Sie, eine Frau und schwarz, hat das bewiesen, was ich immer gern sage: Wir erfinden die ganze Zeit Methoden, wie wir den Rassismus mit Intelligenz bekämpfen können — unsere Waffen sind andere”, so Yasmin, eine junge Filmemacherin.

Diesmal war es ein Heimspiel für Rafaela, der Jubel der Fans habe sie angespornt. Auf Spotify haben Fans schon eine Playlist angelegt, die Rafaela Silvas Medaillensieg feiert. Vielleicht der Soundtrack für die Favelaparty heute Nacht.

Blackyva: Black Diva aus der Favela

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Schwarz, aus dem Armenviertel und transsexuell: Performance-Künstlerin „Blackyva“ aus Rio de Janeiro bringt die Zerrissenheit Brasiliens auf die Bühne. Für die Wochenendausgabe der Mittelbayerischen Zeitung hat Julia die Künstlerin portraitiert.

Kinder fangen bei ihrem Anblick an zu weinen, vor kurzem hat sie an einer Schule eine Performance vorgeführt, die Jugendlichen waren schockiert. „Wenn ich mit dem blauen Auge auf der Straße herumlaufe, erschrecken sich die Leute“, sagt Blackyva. „Es symbolisiert die alltägliche Gewalt, die ich ertragen muss, und die auch meine Mutter erlitten hat“ – Gewalt in der Familie, dazu noch dreifache Diskriminierung. Denn Blackyva ist schwarz, transsexuell, lebt in einer Favela, der Rocinha, dem größten Armenviertel von Rio de Janeiro. Das blaue Auge hat sie kämpferisch zu ihrem Markenzeichen gemacht. Heute nur noch mit Make-up.

Blackyva_Rocinha

Die 22-Jährige will Menschen schockieren, damit sie beginnen, die Dinge in Frage zu stellen. In ihren Performances verarbeitet sie eigene Probleme und Konflikte, in den persönlichen Erfahrungen spiegeln sich aber auch die großen sozialen Herausforderungen, die Brasilien bewältigen muss: die massive Einkommensschere, Rassismus, Diskriminierung, Gewalt, die Schwierigkeit, als junger, schwarzer, armer Brasilianer zu sich selbst zu finden – und zu einer Stimme.

Blackyva: Favela Rising (Foto: BuzzingCities Lab)

Blackyva (All Photo Credits: BuzzingCities)

Fackel mit Blutspuren: Polizeigewalt in Rio de Janeiros Favelas

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In Brasilien stirbt alle 23 Minuten ein schwarzer Jugendlicher zwischen 15 und 29 Jahren, 23.100 jedes Jahr, so das Ergebnis einer Arbeitsgruppe des Senats in der Hauptstadt Brasília. Doch während in den USA Tausende Menschen der „Black lives matters“-Bewegung auf die Straße gehen, um gegen Gewalt und Ermordungen der schwarzen Bevölkerung zu demons­trieren, kommt der Aufschrei hier von nur wenigen.

Julia hat für die Wochenendausgabe der Taz einen Artikel über die Situation im Complexo do Alemao in Rio de Janeiro geschrieben, wie die Militarisierung für die Großereignisse die Gewaltspirale anheizt – und wie neue Stimmen und digitale Tools die Gewalt in die Öffentlichkeit tragen, die lange unsichtbar war.