Das Brett zur Freiheit

Für Monique Oliveira bedeutet Surfen eine besondere Freiheit – denn die Brasilianerin ist gelähmt. Am Strand von Rio de Janeiro erobert sie sich ein Stück Unabhängigkeit zurück.
surf_t.jpg

Wenn Monique Oliveira die Welle bekommt, hält sie sich mit beiden Händen fest, konzentriert und lachend zugleich, läßt sich bis zum Strand treiben. Es ist anstrengend für den Körper, aber das Gefühl der Leichtigkeit und Freiheit gleicht die Anstrengung aus. Auf dem Surfbrett über Wellen zu gleiten ist für Monique Oliveira eine ganz besondere Freiheit: die Brasilianerin ist gelähmt – doch ein Tag auf dem Wasser macht sie so frei wie nichts anderes in ihrem Leben.

Rio de Janeiro ist eine Surferstadt, Menschen in Neoprenanzügen und mit einem Bodyboard oder einem Surfbrett unter dem Arm gehören ins Stadtbild. Doch für Monique bedeutete Surfen zu lernen viel mehr, als nur auf einem Brett über das Wasser zu gleiten. Für Monique ist Surfen ein Wendepunkt in ihrem Leben.

Bildschirmfoto 2016-09-05 um 10.28.33.png

Kampf gegen Vorurteile

Monique Oliveira lebt mit einer Zerebralparese. Ein Sauerstoffmangel bei der Geburt beschädigte Teile ihres Gehirns, die Bewegungsabläufe koordinieren. Ihre Motorik ist holpriger, nicht alles läuft im Alltag leicht. Ein Surfbrett zu tragen oder einen Namen zu schreiben dauert länger und geschieht nicht so reibungslos wie es die meisten gewohnt sind. Monique nimmt den Stift und kratzt die Buchstaben auf das Papier: “Ich muss eine neue Seite anfangen, weil ich mehr Platz zum Schreiben brauche als andere.” Auch das Sprechen fällt ihr schwerer.

Die Verzögerung in Moniques Bewegungen und in der Sprache löst bei vielen Menschen Irritationen aus. Manche sehen nur die Behinderung. In Moniques Heimatstadt São Paulo hatten die Menschen viele Vorurteile: sie musste auf eine Sonderschule gehen. “Die Lehrer haben nicht verstanden, dass ich zwar körperlich aber nicht geistig behindert bin”, sagt Monique.

Spezielles Brett
Doch ihre Familie zieht für sie von São Paulo nach Rio de Janeiro, denn dort kann sie eine Schule mit nicht-behinderten Jugendlichen besuchen. Endlich erhält Monique die Möglichkeit ein Leben wie andere zu führen. Dann findet sie “adaptsurf”, eine Organisation, die sich dafür einsetzt, dass jeder, unabhängig von körperlichen oder geistigen Einschränkungen, Surfen lernen kann.

Bildschirmfoto 2016-09-05 um 10.28.26.png

Jeden Samstag verbringt Monique mittlerweile am Strand: “Wenn es nach mir ginge würde ich gar nicht mehr aus dem Wasser kommen – Surfen bedeutet mir alles”, sagt sie. Auf einem speziellen Brett mit Armschlaufen, an denen sie sich festhält, surft sie auf dem Brett liegend mit den Wellen. Ihre Lehrer helfen ihr, ins und aus dem Wasser zu kommen.

Angst vor den Wellen

Anfangs machten ihr die Wellen Angst, denn Monique kann nicht schwimmen. Vom Strand aus beobachtete sie die anderen aus der Gruppe. “Heute nehme ich jede Welle mit, die ich bekommen kann.” Monique trägt eine Schwimmweste, denn die Wellen an Rios Stränden sind kräftig.

Der Umzug nach Rio war für Monique ein Neubeginn. Die Stadt eröffnete ihr viele Möglichkeiten, eine Unabhängigkeit, die sie in São Paulo nicht kannte. War sie früher auf ihre Mutter angewiesen, die sie mit dem Auto überall hinfuhr, steigt Monique heute alleine in den Bus. Sie hat es geschafft, die Oberschule abzuschließen – das hätte ihr in São Paulo niemand zugetraut. Monique arbeitet auch in der Surfschule, trägt Verantwortung. “Meine Freunde sind auch Surfer, die mich so akzeptieren wie ich bin und mich unterstützen”, sagt sie.

Und sie hat eine weitere Leidenschaft entdeckt: “Ich liebe es, fotografiert zu werden und zu fotografieren.” Monique steht als Model vor der Kamera für eine Agentur aus São Paulo. Wenn sie den Auswahltest an der Uni schafft, wird sie Modefotografie studieren. Ihr Traum: eine Fotografieschule für Menschen mit Behinderungen aufzumachen. Denn genauso wie die Surfschule ihr Leben veränderte, möchte sie anderen helfen, ein unabhängigeres Leben zu führen – und sich Träume zu erfüllen.

Leave a Reply

Fill in your details below or click an icon to log in:

WordPress.com Logo

You are commenting using your WordPress.com account. Log Out /  Change )

Twitter picture

You are commenting using your Twitter account. Log Out /  Change )

Facebook photo

You are commenting using your Facebook account. Log Out /  Change )

Connecting to %s

This site uses Akismet to reduce spam. Learn how your comment data is processed.