Landesweite WhatsApp-Blockade: Warum die Sperre für Brasilien wichtig war

Foto: WhatsApp Press Image

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48 Stunden ohne WhatsApp: Als die landesweite Blockade des Messenger-Dienstes in Brasilien angekündigt wurde, war sie in den sozialen Netzwerken sofort das wichtigste Thema: „Ich frage mich, wieviele Menschen jetzt Selbstmord begehen“, schrieb ein Brasilianer aus einer Favela in Rio. “Lasst uns für WhatsApp beten”, twitterte ein anderer Nutzer. Mit Hashtags wie #eusemwhatsapp (“Ich ohne WhatsApp) und #nessas48euvou (“In den nächsten 48 Stunden werde ich…”) entwarf die brasilianische Netzgemeinschaft ihr Leben ohne den Messenger.

Ein Leben ohne WhatsApp war für viele Brasilianer bisher unvorstellbar. WhatsApp ist in Brasilien der meistgenutzte Messengerdienst. 93 Millionen Menschen kommunizieren in Brasilien über den Messenger. Auch in Rios Favelas hat sich “ZapZap” bei vielen als zentraler Kommunikationskanal durchgesetzt, um mit Freunden zu chatten – als kostenlose Alternative zur klassischen SMS.

# Die Blockade hat auch Brasilianern, die sich nicht für Netzpolitik interessieren, begreifbar gemacht, was passiert, wenn ein Staat einen wichtigen Kommunikationsdienst einfach abstellen kann.

Die Nutzer wurden erst kurz vor der Sperrung informiert. Brasilianische Telekommunikationsunternehmen wie Oi, TIM, Vivo und Claro wurden angewiesen, den Zugang zu WhatsApp zu blockieren. Die drastische Maßnahme sollte den Dienst zur Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden und der Herausgabe von Daten zwingen. WhatsApp war einem Gerichtsbeschluss vom 23. Juli nicht nachgekommen, der das Unternehmen dazu aufforderte, die Kommunikationsdaten eines Mitgliedes des PCC, einer der großen kriminellen Organisationen Brasiliens, herauszugeben. Internetaktivisten und netzpolitische Organisationen kritisierten die Sperre als überzogen und als Angriff auf das freie Internet. Auch der Richter, der die Blockade nach 14 Stunden wieder aufhob, folgte dieser Argumentation: Die Maßnahme sei unverhältnismäßig, da sie Millionen von Nutzern treffe. Immerhin: So wurde auch Millionen von Nutzern anschaulich demonstriert, welche Wirkung der staatliche Zugriff auf zentralisierte Dienste haben kann.

# Brasilien verfolgt in punkto Netzpolitik einen harten Kurs: Anonymität und Datenschutz werden kriminalisiert — die Blockade könnte die netzpolitische Debatten in Brasilien fördern.

Die Hardliner-Politik gegen WhatsApp ist in Brasilien kein Einzelfall: Bereits im Februar hatte ein Richter eine landesweite Blockade angeordnet. Damals wurde die Blockade jedoch noch gerichtlich verhindert und in der Berufung zurückgewiesen. Damals ging es um die Herausgabe von Daten in Zusammenhang mit einem Pädophilie-Fall. Brasilien hat einerseits mit dem Marco Civil die „erste Internetverfassung der Welt“ (https://netzpolitik.org/2014/marco-civil-da-internet-die-erste-internet-verfassung-der-welt-halt-viele-tolle-sachen-aber-auch-schlechte/) verabschiedet, an der zivilgesellschaftliche Organisationen mitgewirkt haben — doch in den vergangenen Jahren hat sich auch der Trend zu stärkerer Überwachung und digitalen Kontrolle durchgesetzt. Brasilianer, die sich auf Facebook für die Sozialproteste engagierten, wurden ausspioniert, Anonymität und Datenschutz wird in der öffentlichen Debatte immer wieder kriminalisiert. Die brasilianischen Behörden gingen 2014 auch gegen die Geheimnis-App “Secret” vor, die anonyme Nachrichten erlaubt. Die Staatsanwaltschaft hielt sie für verfassungswidrig, da sie auch Mobbing erlaube – und veranlasste die Verbannung der App und die nachträgliche Löschung von den Geräten der Nutzer.

# Es kann ein Leben ohne WhatsApp geben: Die Blockade hat Messenger-Alternativen und Kommunikationssicherheit beworben.

Die WhatsApp-Sperre hat Millionen Nutzer gezwungen, sich mit Alternativen zu WhatsApp auseinanderzusetzen. Der größte Profiteur: der rivalisierende Messenger-Dienst Telegram, der 5 Millionen neue Nutzer gewonnen hat. In sozialen Netzwerken, aber auch in den brasilianischen Medien zirkulierten auch Anleitungen, wie sich die Blockade mit VPN-Diensten umgehen lassen.

Selbst wenn Millionen jetzt wie gewohnt zu ihrem Lieblings-Messenger zurückkehren sollen, war die Sperre also ein Einblick in die Abgründe netzpolitischer Entscheidungen — aber auch ein Crashkurs, der zeigt, warum dezentrale Open-Source-Alternativen und Tools wie VPN sinnvoll sind.

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