Trotz Email, Instagram und Facebook möchte man manchmal gute alte Postkarten verschicken. Man kann die Dauer ihres Weges nicht abschätzen, nicht mal wissen, ob sie überhaupt ankommen, wenn sie in Rio aufgegeben werden. Aber es war das Ziel, mehr als ein Dutzend Karten aus der Favela Rocinha abzuschicken, an Freunde des Crowdfundingprojekts.
Ja, es gibt sogar ein Postamt mitten in der Rocinha. Kein richtiges Amt, aber einen Raum, in dem zwischen Kisten mit Briefen und Päckchen und zwei Schaltern immer eine Postangestellte sitzt. Die alles macht: Karten annehmen, die Zahlungen für Stromrechnungen einiger Bewohner administrieren, Päckchen aushändigen.
Nicht selten bildet sich eine kleine Schlange, die sich bis nach draußen vor die Tür drängelt. Mein erster Versuch für den “Großversand” scheiterte an der Mittagspause. Ich war ausgerechnet in der Zeit zwischen 12 und 14 Uhr gekommen. Die Öffnungszeiten des Favelapostamtes: 10 bis 12 Uhr und 14 bis 17 Uhr.
Versuch II: Weniger Karten
Beim zweiten Versuch war die Schlange lang, und als ich an der Reihe war, warnte ich den Mann hinter mir, dass es etwas länger dauern könnte. “Kein Problem”, sagte der. Brasilianer sind es gewohnt zu warten: Im Vergleich dazu, wie oft und lange ich schon in brasilianischen Postämtern angestanden habe, war das Favela-Erlebnis eigentlich harmlos.
Unsere Postkarten sind selbstgeschossene und in der Favela ausgedruckte Fotos. Das ist zum Glück kein Problem, da die Marken auch in Brasilien mittlerweile Sticker sind und auch auf Fotopapier haften. So begann die Postfrau, jede der Karten mit drei Marken zu bestücken und endete dann mit einer überraschten Miene bei Nr. 11, denn ihre Briefmarken waren aufgebraucht: “International haben wir hier eigentlich nicht oft”, sagte sie – also eigentlich gar nicht. Sie müsse dafür den Tresor öffnen, das würde aber 40 Minuten dauern.
“Den Tresor?”
“Ja, da sind die eingeschlossen.”
“Komm doch am besten morgen wieder”, meinte sie.
“Okay, vielleicht komme ich einfach in einer Stunde, kurz vor Schluss vorbei”, sage ich.
Kopfnicken.
Weil ich sowieso in der Gegend unterwegs war, achtete ich darauf, etwa 50 Minuten später und zehn Minuten vor Filialschließung zu kommen. Kein Mensch drinnen, nur die Postdame. Als sie mich sieht, lacht sie und sagt: “Ach Mensch, das habe ich ganz vergessen, ich geh mal zum Tresor”. Sie kommt mit leeren Händen zurück. “Jetzt ist er wieder zu. Weil ich das über das System eingegeben habe, hat er sich aus Sicherheitsgründen wieder geschlossen. Zwei Minuten zu spät” Zwei Minuten. Zu ist zu.
Ich unterhalte mich noch ein bisschen über den Aufwand dort und kehre mit den restlichen Karten um.
Versuch III: Kleben und Stempeln
In der Postfiliale muss man den Leuten trauen. Viele Häuser haben immer noch keine Straßennamen oder Nummern, deswegen lagern die Briefe teilweise zentral in dem Räumchen und jeder, der etwas erwartet, kramt eigenhändig in den Briefen herum.
Dritter Versuch, ein paar Tage später: Schlange, dieselbe Dame, gleicher Blick. Und ich denke schon, sie hat es vergessen und jetzt ist der Tresor geschlossen. Doch anders als erwartet, zieht die Dame Bögen voller Marken hervor. Wie schön. Kleben, kleben, kleben, stempeln, stempeln, stempeln. Toll!
“Ganz schön”, findet die Postangestellte die Karten. Sie macht ja selbst kaum Bilder, zumindest nicht von der Favela.
Irgendwann müssten Karten aus der Favela ihre Besitzer in Europa erreichen. “Acht bis zehn Tage”, schätzt die Dame aus der Rocinha – aber bisher war noch keine Karte aus Brasilien so schnell, nicht einmal vom Flughafen in Rio.