Gabriele Leite war die Stimme der Prostituierten, Brasiliens wichtigste Aktivistin für Sexarbeit – und sie schickte Prostituierte als Models auf den Laufsteg, um sie sichtbarer zu machen. Vor kurzem ist Gabriela in Rio de Janeiro gestorben.
Als erste Prostituierte Brasiliens brach Gabriela Leite das Schweigen: sie redete über ihre Arbeit, die Situation der Sexarbeiterinnen, forderte die Anerkennung von Prostitution als Beruf. Nachdem sie bei einer Veranstaltung über “Frauen aus den Favelas und der Peripherie” als Rednerin aufgetreten war, weil ihre Kolleginnen die Öffentlichkeit scheuten, fragten alle brasilianischen Medien “die Prostituierte, die sprach” für Interviews
an – und Leite wurde zur Stimme und zum Gesicht der brasilianischen Prostitution.
“Wenn man über Prostitution sprach, hatte jeder immer eine Lösung für die Prostituierten, aber keiner fragte die Prostituierten, was sie wollen”, kritisierte sie in einem Interview. “Jetzt müssen sie mit uns reden.” Leite ging es nie darum, Frauen aus der Prostitution zu holen, sondern ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern, gegen das Stigma zu kämpfen. Sie versuchte die brasilianische Politik zu beeinflussen, prangerte auch öffentlich an, dass Polizisten Prostituierte misshandelten und zum Sex zwangen, Geld von den Frauen und Bordellen erpressten.
Sex als Rebellion
Für Gabriela Leite, die in einer Mittelstandsfamilie aufgewachsen war und Soziologie studiert hatte, war die Entscheidung, als Prostituierte zu arbeiten, nie Notwendigkeit gewesen, sondern persönliche Revolution. Sie gehörte zur Generation der jungen Brasilianer, die in die konservative, verklemmte Zeit der Militärdiktatur hineingewachsen waren – die sich aber nicht dem bewaffneten Widerstandskampf anschlossen, sondern mit sexueller Befreiung gegen das Establishment rebellierten.
Ihr Privileg war Leite immer bewusst, ihre rhetorischen Fähigkeiten, ihre auch ökonomisch geringere Verletzlichkeit nutzte sie, um sich für andere einzusetzen. 1987 gründete Gabriela Leite mit anderen Prostituierten das erste brasilianische Netzwerk für Sexarbeiterinnen. Eine Unterstützung der Regierung aus dem Budget der AIDS- und HIV-Bekämpfung lehnten die Frauen ab – weil sie nicht wollten, dass Sexarbeit nur mit Krankheit verbunden wird.
Eine große Sichtbarkeit und einen Imagewandel verschaffte Leite den brasilianischen Sexarbeiterinnen auch mit dem Modelabel und Sozialprojekt “DASPU” – eine Gruppe von Prostituierten arbeitete an Entwürfen für Shirts, Kleider, Accessoires, präsentierten die Mode als Models.
Warum DASPU mehr als Mode ist
Wie Gabriela Leite zur Stimme der Prostituierten wurde – und wie das Modelabel DASPU entstand
Allein der Name des Label – “DASPU”, kurz für “das putas”, “von den Huren” – war ein ironischer Seitenhieb auf die Mainstream-Gesellschaft – denn die Luxus-Modemarke “DASLU” in São Paulo war lange Symbol für die Dekadenz der brasilianischen Oberschicht und die krassen sozialen Ungleichheiten. Als wir Leite 2009 in Rio de Janeiro kennenlernten, bereitete sie gerade eine Show für die Fashion Week in São Paulo vor, Brasiliens wichtigste Fashion-Messe.
Der Aktivistin ist es gelungen, Inhalte, die ihr wichtig waren, in zahlreiche gesellschaftliche Sphären einzuschleusen – in Kongress, Modewelt und im brasilianischen Alltag. In ihrem Buch “Filha, Mãe, Avó e Puta” – “Tochter, Mutter, Oma und Hure” – beschrieb sie ihre Erfahrungen.
Am 10. Oktober ist Gabriela Leite mit 62 Jahren in Rio de Janeiro an den Folgen ihrer Krebserkrankung gestorben. In einem ihrer letzten Interviews sagte sie, dass sie es trotz ihrer Krankheit nicht bereut hat, Raucherin gewesen zu sein – sonst hätte sie nie erfahren, wie eine Zigarette schmeckt. Freiheit sei das Wichtigste, was sie in ihrem Leben angetrieben hat.